Gedanken zum Weißen Sonntag 2020 von Pfr. Stefan Reichenbacher

Liebe Leserin, lieber Leser!
Der weiße Sonntag beschließt die Osterwoche. Er ist sozusagen der Abschluss der Osterfeiertage und beschäftigt sich damit, was das Ostergeschehen für uns heißt:
Was bedeutet es für uns, dass Jesus Christus von den Toten auferweckt wurde?
Welche Rolle spielt das in meinem Leben, aber auch für meinen Tod und was danach kommt?

Antwort auf diese Fragen und auch auf die Fragen unserer Zeit wollen uns die Texte geben, die diesen Sonntag bestimmen: der Wochenspruch, das Evangelium und der Predigttext.

Der Wochenspruch:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer le-bendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. (1.Petrusbrief 1,3)

Die Auferstehung Christi verhilft uns zur Hoffnung, dass auch wir „normalen“ Menschen einmal nach dem Tod auferstehen dürfen wie Jesus an Ostern. Und diese Hoffnung gilt allen, die „wiedergeboren“ sind – das ist eine Anspielung auf die Taufe, in der sozusagen eine Wiedergeburt oder Neugeburt geschieht Dieses neue, zweite Leben aber kann der Tod nicht enden – es führt in die Ewigkeit bei Gott.
Dieser Zusammenhang von Auferstehung und Taufe ist mit ein Grund, warum am Weißen Sonntag traditionell Konfirmation bzw. Kommunion gefeiert wird: Kinder und Jugendliche bekennen sich zu ihrer Taufe. In der Alten Kirche wurde vor allem in der Osternacht getauft. Die Täuflinge bekamen dann weiße Kleider angezogen als Zeichen für ihre Reinheit von Sünde vor Gott und diese weißen Klei-der trugen sie bis zum Weißen Sonntag. Dieser wiederum wurde lateinisch „Quasimodogeniti – Wie neu geboren“ bezeichnet – wieder der Hinweis auf die Taufe.
In Zeiten großer Ängste vor Krankheit ist gerade dieser Vers des Wochenspruchs eine starke Kraft gegen die Ansicht, dass das diesseitige Leben bereits alles wäre – und dass es deshalb mit allen Mitteln und um jeden Preis erhalten werden müsse – sogar mit Schaden an Seele und Leib. Denken wir nur an die vielen Alten und Sterbenden, die jetzt nur körperlich, aber nicht seelisch versorgt werden dürfen. Oder an die vielen beruflichen Existenzen, die jetzt auf der Kippe stehen oder sogar schon am Ende sind und großes finanzielle Prob-leme für die Betroffenen bedeuten, aus denen soziales Leid erwach-sen wird.
Als Christen haben wir aber mehr zu erwarten: Die Ewigkeit bei Gott – ein neues Leben ohne Angst, Krankheit, Leid und Tod! Körperliche Gesundheit ist ein hohes Gut – aber nicht alles im Leben!

Das Evangelium:
Das Evangelium ist die Erzählung vom sog. „Ungläubigen Thomas“. Doch dieser geflügelte Ausdruck trifft den Kern der Erzählung nicht: Angemessener wäre es, vom „Zweifelnden Thomas“ zu sprechen. Dieser Zweifel hat durchaus etwas „Gesundes“ an sich – wer zwei-felt, sucht nach Glauben. Wer zweifelt, möchte gerne glauben, kann es aber nicht. Doch Jesus geht auf den Zweifler zu und hilft ihm.
Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben.
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Jesus gewährt Thomas das Sehen und Fühlen seiner Wundmale. Er tadelt ihn nicht wegen seines Zweifelns. Und so führt er Thomas behutsam zum Glauben.
Aber natürlich hat Jesus auch die im Blick, die in späteren Zeiten an ihn glauben sollen. Und deshalb folgt der Satz: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Im ersten Moment wirkt dieser Satz wie ein Tadel gegenüber Thomas, aber er ist nicht wirklich an ihn gerichtet, sondern an uns, an die Leser und Hörer des Evangeliums. Denn dieser Satz ist der Zielsatz des gesamten Johannesevangeliums! Alle, die dieses Evangelium einmal lesen, werden nicht ihre Finger in die Wundmale legen und sich auf diese Weise überzeugen können. Sie müssen sich genau wie wir heute auf die Worte der Hl. Schrift und den Glauben der Eltern und Vorfahren an diese Worte verlassen.
Aber damit stehen wir in einer Glaubenstradition, die unsere Kirche seit 2000 Jahren lebendig und wachhält.
Viele Menschen erleben die Tage der Corona-Pandemie wie einen wochenlangen Karfreitag mit Angst und Ungewissheit und der Frage „Was kommt danach“. Manche zweifeln auch an ihrem Gott und fragen, ob das eine Strafe von ihm sein könnte. Wieder andere sind davon überzeugt, dass es uns ganz recht geschieht, dass die Natur auf diese Weise zurückschlägt, weil wir Menschen Gottes gute Schöpfung immer mehr zerstören und ausbeuten. Doch all diesen „Karfreitags-Gedanken“ dürfen wir mit dem Osterruf entgegnen: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!

Auch wenn uns in diesem Moment der Krise noch nicht wirklich österlich zumute ist, wenn uns die Ängste noch die Luft zum Atmen nehmen wollen, dürfen wir daran glauben, dass Gott stärker ist als der Tod. Das Licht besiegt die Dunkelheit!

Der Predigttext:
Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.
Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört?
Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jesaja 40,26-31)

Der Predigttext, der dem Evangelium zugeordnet ist, stammt vom Propheten Jesaja. Natürlich weiß er noch nichts von Jesus, ge-schweige denn von seiner Auferstehung. Doch auch er vertraut auf Gott, der Unmöglich Scheinendes möglich machen kann, der aus Not herausführen und retten kann. Damals waren es die verbannten Juden in Babylon, die tatsächlich wieder in die Heimat zurückkehren und ihren Staat wieder aufbauen durften.

Wir heute dürfen darauf vertrauen, dass auch wir unser Leben in diesem Staat wieder aufbauen werden. Doch es wird nicht einfach so weitergehen wie vor der Krise. Wir werden einiges davon „mitnehmen“, hoffentlich viel Gutes: Das selbstverständlich Scheinende dankbarer annehmen; eine Reise bewusster genießen; uns Menschen wieder mehr als Teil der Schöpfung verstehen und mit einer großen Verantwortung für sie. Wir dürfen aber die Hoffnung haben, dass wir auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen werden. Und wir dürfen darauf vertrauen, dass der Jesus, der Karfreitag erlebt und Ostern bewirkt hat mit uns sein wird – in dunklen und hellen Tagen!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten und hoffnungsfrohen Weißen Sonntag!

 

Der Text zum Download: