Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt - wohin wird es steuern in Zukunft?

Predigt über das Lied "Ein Schiff, dass sich Gemeinde nennt" (Evang. Gesangburch 589) und zu Matthäus 14,28-32 anlässlich der Bergkirchweih 2021

 

Liebe Gemeinde!

Irgendwie sind wir im Kirchenchor auf dieses alte und zugleich moderne Lied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ gestoßen.
Es ist inzwischen schon wirklich ziemlich alt – schon mehr als 60 Jahre. Und doch gehört es zu den sog. modernen Liedern, weil es sowohl von der Rhythmik als auch von der Melodik und Harmonik her ganz klar kein traditioneller Choral ist und z.B. auch sehr gut mit Gitarre begleitet werden könnte. Anders als viel andere Lieder dieser Zeit hat es sich halten können und genügt auch heute noch musikalischen Ansprüchen, die man an diese Art Lieder stellen darf.
Dazu kommt, dass dieses Lied einen richtig guten Text hat, wie ich finde. Damals, 1960, brach auch eine neue Zeit an und sicher fragten sich auch damals viele Christen, wohin die Reise geht mit dieser Kirche. Das Wirtschaftswunder in den 50er Jahren war noch nicht zu Ende, die Schrecken des Krieges und der Nazizeit waren abgeschüttelt – zumindest meinte man das – Neues brach auf, Autoritäten wurden in Frage gestellt, die Frauen wurden selbstbewusster, ebenso die Jugend – das und vieles mehr wirkte sich natürlich auch auf die Kirche aus.

Heute stehen wir wieder vor Veränderungen, die möglicherweise tiefgreifender sind als alle Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Und damit meine ich nicht nur, dass wir nächsten Sonntag in Deutschland eine Schicksalswahl haben, wenn es um Dinge wie den Klimawandel geht.
Auch kirchlich ändert sich die Landschaft rapide: Wir werden seit mehr als 20 Jahren weniger Christen in Deutschland, unsere Gemeinden – katholische wie evangelische schrumpfen - , wir haben zu wenig Pfarrernachwuchs, wir haben immer weniger Geld, wir müssen umstrukturieren und uns auf diese neuen Gegebenheiten einstellen.

Was passiert bei diesen Veränderungen mit unserem Reuttier „Gemeindeschiffchen“? Welchen Stürmen müssen wir standhalten, welche Kurswechsel vollziehen?
Der neue Landesstellenplan unserer Landeskirche, der versucht, uns auf diese Zukunft vorzubereiten, sieht vor, dass wir Stellen einsparen müssen und zwar vor allem Pfarrstellen. Der Grund ist nicht nur abnehmende Finanzkraft, es ist vor allem der fehlende Pfarrernachwuchs. Zwar haben wir mehr Nachwuchs, vor allem durch Pfarrerinnen als die katholische Kirche, aber anders als diese können wir unsere unbesetzten Stellen nicht so einfach mit Pfarrern aus anderen Ländern besetzen. Viele katholische Gemeinden haben inzwischen z.B. indische Pfarrer.
Allerdings, manchmal gibt es Ausnahmen: Heute mittag um 14 Uhr wird Pfarrer Renato Creutzberg aus Brasilien in Pfuhl-Burlafingen auf der 2. Pfarrstelle eingeführt. Er darf für 5 Jahre im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen unserer bayerischen Landeskirche und der Lutherischen Kirche Brasiliens kommen. Wir freuen uns sehr, dass die mehr als ein Jahr vakante Pfarrstelle nun endlich besetzt wird. Pfarrer Creutzbergs Tochter Heloise übrigens arbeitet seit 1. September bei uns im Kinderhaus und macht dort ihr Freiwilliges Soziales Jahr. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich bei Pfr. Creutzbergs Einführung heute Mittag dabei sein will und dabei sein sollte als direkter Nachbar und Sprecher des Ulmer Winkels.

Und damit sind wir bei unserer Region Ulmer Winkel, der Region, in der wir bereits zusammenarbeiten und künftig noch viel enger zusammenarbeiten werden und müssen:
Zu diesem Ulmer Winkel gehören die Kirchengemeinden Pfuhl-Burlafingen, Elchingen, Steinheim und Reutti. Wir haben 6 Pfarrer und Pfarrerinnen, von denen fünf eine ganze Stelle haben. Eine Pfarrerin hat eine halbe Stelle und eine weitere halbe Stelle ist vakant, also zusammengerechnet 6 Pfarrstellen, aber nur noch 5 sollen wir ab 2023 haben. Wir müssen also sehr gut überlegen, wie wir die zu leistenden Aufgaben auf die dann vorhandenen Pfarrstellen gut und gerecht verteilen. Und zugleich haben wir das Ziel, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Ulmer Winkel bleiben können, so sie das wollen.

Reutti ist unter diesen vier Gemeinden die mit Abstand kleinste Gemeinde und hat nicht mal mehr 1000 Gemeindeglieder. Eine ganze Pfarrstelle wie bisher kann es da eigentlich nicht mehr geben. Und doch wird die Arbeit nicht weniger werden. Was also tun in Reutti mit Finningen, Jedelhausen und Werzlen?

Helfen kann dabei der Blick auf dieses Gemeindeschiff wie es das Lied beschreibt:
Da ist von einer Mannschaft die Rede, die zusammenhalten muss, um gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Es geht also um die Gemeinde als ganze und nicht nur um die Pfarrstelle, so wichtig sie vielleicht sein möge.
In einer Gemeinde gibt es viele Menschen, die zusammenhelfen, um die Gemeinde zu bewegen. „Mit Gottes Hilfe sind wir eine lebendige Gemeinde“ sagen wir immer als Einleitungssatz zum Beginn der Abkündigung.
Lebendige Gemeinde sein, ja, darauf kommt´s an. Im Lied heißt es in der 2. Strophe schön, dass man sich gern im Glanz vergangener Zeiten sonnt, doch wir sollen zur Ausfahrt bereit sein, zum Wagnis für Neues – nur dann bleiben wir lebendig, nur dann erreichen wir das Ziel, das Gott uns für uns und unsere Gemeinde steckt.

Wir feiern heute Bergkirchweih, unser Gemeindefest. Wir feiern es bescheiden aufgrund der Hygienebedingungen, aber wir feiern. Wir feiern, dass wir hier auf eine mindestens 800 Jahre alte Tradition von Gemeinde vor Ort zurückblicken können in Reutti ob der Donau wie man früher sagte. Wir feiern, dass es uns immer noch gibt, auch wenn wir wieder kleiner werden. Bis zum Krieg und den Flüchtlingen, die dann kamen, hatte Reutti noch weit weniger Gemeindeglieder als heute. Dann wuchs die Gemeindegliederzahl und spätestens seit der Jahrtausendwende sinkt sie nun wieder. Aber entscheidend ist nicht unsere Größe, sondern unsere Lebendigkeit!
Bei einem Gemeindefest kann man sehr schön beobachten, wie viele Menschen zusammenhelfen, dass so ein Fest gelingt: Zuerst im Gottesdienst alle, die da mitwirken, vor allem musikalisch, dann draußen beim Essen und Trinken und schließlich bei Spaß und Spiel.

Ich bin nun seit ziemlich genau 20 Jahren hier in Reutti Pfarrer. Der Kirchenvorstand hat mir letzten Donnerstag eine kleine Überraschungsparty bereitet und dazu ganz viele Mitarbeitende unserer Gemeinde von heute und von früher eingeladen. Alleine beim Rückblick auf diese 20 Jahre ist schon so viel Leben und Lebendigkeit zu entdecken – und das sind nur mal 20 Jahre, ein klitzekleiner Bruchteil der Geschichte unserer Gemeinde!
Die Mannschaft des Gemeindeschiffchens hat immer wieder gewechselt und wird weiter wechseln, aber das Schiffchen ist weiterhin unterwegs. Der aktuelle Kirchenvorstand hat demnächst schon wieder Halbzeit! 2024 wird es wieder Wahlen geben. Manche Mitarbeitenden sind schon seit Jahrzehnten im Dienst z.B. als Gemeindebriefausträger oder als Erzieherin im Kinderhaus. Manche haben aufgehört, andere haben neu angefangen.

Entscheidend ist jedoch der Kapitän, einer, der den Überblick bewahrt und der für Kontinuität sorgt. Und wer ist das? Natürlich Jesus! Kirchenvorstand mit Pfarrer sind die Matrosen in verschiedenen Rollen: Sie sind Steuermann, Koch, Leichtmatrose oder Bootsmann.
Doch der Kapitän ist Jesus – er ist auf unsichtbare Weise da und dirigiert das Gemeindeschiff durch seinen Geist. Schwierig wird´s, wenn er nicht da ist oder besser gesagt, wenn nicht geglaubt wird, dass er da ist. Schwierig wird´s, wenn Jesus nicht um Rat gefragt wird oder wenn ihm nicht vertraut wird…!

Dazu ist mir eine berühmte Erzählung eingefallen, die Erzählung vom sog. Seewandel Jesu.
Die Jünger fahren ohne Jesus über den See Genezareth. Es ist dunkel und ein Sturm kommt auf. Da erblicken sie Jesus, der über das Wasser zu ihnen läuft. Sie haben zuerst Angst, aber Jesus beruhigt sie mit den Worten: „Fürchtet euch nicht. Ich bin es. Habt keine Angst!“

Von dieser Stelle an möchte ich lesen:
Petrus sagte zu Jesus:
„Herr, wenn du es bist, befiehl mir, über das Wasser zu dir zu kommen.“
Jesus sagte: „Komm!“
Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus. Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst.
Er begann zu sinken und schrie: „Herr, rette mich!“
Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest.
Er sagte zu Petrus: „Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?“
Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich.
Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: Du bist wirklich der Sohn Gottes!“ (Matthäus 14,28-32)

Der Sturm, in den die Jünger geraten, stehen heute bildhaft für die Schwierigkeiten, mit denen die Kirche immer wieder zu kämpfen hat:
Mangelnde Glaubwürdigkeit durch Fehlverhalten der Amtsträger, Desinteresse der Menschen an Glaubensdingen, abnehmende Bedeutung der Kirche im Alltagsleben der Menschen – es lässt sich auch ohne Kirche ganz gut leben, meinen viele – und nun noch Vorgaben der Landeskirche, die umzusetzen sind.

Da hilft nur der Blick auf Jesus: Nach dem ersten Schreck freuen sich die Jünger, dass Jesus übers Wasser zu ihnen kommt. Sie sind begeistert, dass ihr Meister nicht nur Sturm und Wellen gebieten und sie beruhigen kann wie sie zuvor schon erlebt hatten, sondern sogar auf dem Wasser laufen kann. Wie immer ist Petrus der erste, der ganz euphorisch auf diese neue Erkenntnis reagiert und es Jesus nachmachen will. Und tatsächlich: Auch er kann auf dem Wasser laufen – den Blick fest auf Jesus gerichtet.
Der Blick auf Jesus vermag also, die Schwierigkeiten, die zuvor noch so bedrohlich und bedrängend waren, beiseite zu schieben und scheinbar Unmögliches zu schaffen! Petrus kann auf dem Wasser laufen! Allerdings, nur er traut sich das. Die anderen wagen es nicht, das auszuprobieren…

Petrus scheitert dann zwar nach ein paar Schritten, aber er hat es gewagt! Er kommt Jesus entgegen. Nur, irgendwann spürt er wieder den Sturm der Schwierigkeiten und der Probleme und bekommt Angst. Er versinkt darin, doch sofort ist Jesus da und reicht ihm hilfreich die Hand!
Es lohnt sich also, auf Jesus zu vertrauen. Zumindest erste, ungewohnte und kaum möglich scheinende Schritte sind machbar. Und Jesus ist da und hilft sofort, wenn es dann doch zu schwierig wird.
Es ist also weder eine Schande zu scheitern noch passiert dabei ein größeres Unglück. Jesus ist ja da. Jesus steht uns bei, wenn wir es wagen, ihm zu vertrauen und auf ihn zuzugehen.

Was heißt das aber nun für uns, „auf Jesus zuzugehen“?
Vielleicht bedeutet es, dass wir als Gemeinde genau überlegen: Wo und wann gehen wir mit unserer Arbeit, unserem Engagement, unseren Ideen wirklich „auf Jesus zu“? Welche Dinge sind es, durch die wir unseren Auftrag als Gemeinde Jesu erfüllen?
Beim neuen Stellenplan der Landeskirche wurde ein Leitspruch ausgerufen, der über allen Überlegungen zur Veränderung stehen soll: Den Menschen einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes ermöglichen.

Mir gefällt dieser Leitspruch.
Wir sind eine sog. Volkskirche. Bei uns ist jeder und jede willkommen. Wir bauen keine Hürden auf, die man überwinden oder schaffen muss, um zum Gottesdienst oder zum Gemeindefest zu kommen. Wer aber zu uns kommt oder bei uns ist, der soll etwas von der „Liebe Gottes“ mitbekommen. Wer bei uns in der Gemeinde auftaucht, soll erleben, dass hier Menschen sind, die ihn freundlich willkommen heißen und versuchen so zu leben wie es Jesus einst gepredigt hat: Gott lieben und den Menschen. Mit den Möglichkeiten, die jeder und jede hat. Mit ganz großen und ganz kleinen Gaben, die wir alle von Gott empfangen haben und aus denen wir etwas machen können.
In unserer Kirchengemeinde haben wir da viele Anknüpfungspunkte: Bei unserer Musik in den Chören, bei unseren diakonischen Angeboten im Kinderhaus und bei Zeit für Andere, in den verschiedenen Gruppen, die sich im Gemeindehaus treffen, im Gottesdienst am Sonntag oder bei besonderen Anlässen wie Ausflügen oder Feiern wie heute.
Den Menschen einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes ermöglichen – auf Jesus schauen und auf ihn zugehen – das sind die Rezepte, mit denen es sich in die Zukunft segeln lässt mit unserem Gemeindeschiffchen, auch wenn wir weniger werden. Wir segeln nicht alleine – auch andere Gemeindeschiffchen sind mit uns unterwegs und es wird spannend und interessant werden, sich gegenseitig besser kennenzulernen und dann auch zu unterstützen. Reutti wird wahrscheinlich zukünftig keinen Pfarrer mehr ganz für sich alleine haben, aber andere Pfarrerinnen und Pfarrer werden sich auch mit um Reutti kümmern. Und was die Pfarrer können, können die ehrenamtlich Mitarbeitenden auch: Wir werden alle lernen, mehr gemeinsam zu tun und dadurch am Ende alle profitieren.

Und Jesus wird sich freuen, wenn dann nicht nur ein Petrus auf ihn zuläuft, sondern viele es wagen, aus dem Schiff der bisherigen Gewohnheiten auszusteigen und Neues zu wagen. Er wird da sein, wenn´s schief geht und helfen, dass wir uns über Wasser halten können.

Amen.