Gedanken zum Sonntag „Jubilate“ 2020 von Pfr. Stefan Reichenbacher

Weinstock
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Jubilate - Jubelt! Freut euch! – So heißt dieser Sonntag.

Normalerweise wird er auf den Frühling, auf das neue Erwachen der Schöpfung Gottes bezogen. Wir sind aufgerufen, uns daran zu erfreuen, dass das Wiedererwachen der Schöpfung uns zeigt, dass Gott jederzeit neues Leben schaffen kann, dass der Tod nicht das letzte Wort hat – vergleichbar mit dem Winter.

Dass wir inzwischen gar keine richtigen Winter mehr kennen und bis zum Sonntag Jubilate der Frühling schon fast wieder vorbei ist, weil der Klimawandel den Frühling bereits in die Zeit von Februar bis April vorverlegt hat, wäre normalerweise vielleicht ein Thema für diesen Gottesdienst.

In diesem Jahr drängt sich aber seit Wochen immer dasselbe Thema vor: die Corona-Krise. Und in diesem Zusammenhang darf natürlich unser Jubel der Tatsache gelten, dass der Staat das normale Leben langsam wieder anlaufen lässt. Die Infektionen sind bei uns relativ gut unter Kontrolle, die vielen Betten, die in Krankenhäusern für mögliche Infizierte freigehalten werden mussten, werden nun endlich zu großen Teilen mit Patienten belegt, die andere dringende Operationen verschieben lassen mussten. Die allermeisten Corona-Infizierten kommen mit leichten Symptomen davon und die Corona-Toten sind bis auf wenige Ausnahmen Menschen, die schlimme Vorerkran­kungen hatten und für die auch ein Influenza-Virus zum Verhängnis hätte werden können.

Doch der Preis für das langsame Wiederaufleben des öffentlichen Lebens ist hoch:

Gottesdienste dürfen ab 10. Mai zwar wieder gefeiert werden – allerdings nur unter strengen Auflagen, z.B. mit einer Maske im Gesicht und weit auseinander sitzend. Von daher wird es schon eher ein verhaltener Jubel sein, ein durch Masken gehemmter Jubel, wenn wir nächsten Sonntag den ersten Gottesdienst seit Mitte März feiern und mit Mundbedeckung singen sollen. Aber nachdem zwischenzeitlich sogar diskutiert wurde, gar nicht singen zu dürfen, müssen wir wohl über diesen Zwischenschritt erstmal froh sein.

Das Evangelium vom „Wahren Weinstock“

Der wahre Weinstock (Johannesevangelium 15,1-8)

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.

Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe.

Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt.

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.

Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Das Bild vom Weinstock wählt Jesus wahrscheinlich aus mehreren Gründen:

Zum einen ist er ein Meister darin, mit Bildern, die die Menschen aus ihrem Alltag oder aus der Natur kennen, himmlische Dinge zu erklären oder Gottes Liebe zum Menschen verständlich zu machen.

Zum anderen baut er mit diesem Bild auf einem bereits im alten Israel sehr gebräuchlichen Bild auf: Dort wird das Volk Israel z.B. von den alten Propheten mit einem Weinberg verglichen. Gott ist der Besitzer und die Könige und die Priester sollen die Weingärtner sein – die dann oft aber als schlechte Weingärtner kritisiert werden. Und der Weinberg wird häufig als verwüstet oder gar öde dargestellt als Bild für den Niedergang des Staates Israel.

Wenn Jesus dieses Bild aufgreift, dann stellt er sich in diese prophetische Tradition, aber füllt sie neu und wandelt auch das Bild:

Nun geht es nicht mehr um den gesamten Weinberg, sondern um einen Weinstock – das Bild wird also konkreter. Der Weinstock aber sind nicht etwa die Kirche oder die Glaubenden, sondern Jesus selbst ist der Weinstock. Wir, die Glaubenden und auch die gesamte Kirche, sind lediglich Teil dieses Weinstocks – die Reben.

Dieses Bild vom Weinstock, wie wir es nur von Johannes kennen, ist übrigens vergleichbar mit dem Bild vom Leib Christi, das Paulus gebraucht. Auch dort bilden die einzelnen Christen, die ganze Gemeinschaft der Kirche, miteinander den sog. „Leib Christi“.

Indem Jesus nun sich zum Weinstock erklärt, hat das wichtige und heilsame Folgen für uns Menschen. Es hängt nicht von uns ab, ob dieser Weinstock existiert und in welchem Zustand er ist – er bleibt in alle Ewigkeit, weil er die Ewigkeit des Auferstanden in sich trägt. Das ist ein wichtiger Unterschied zum alttestamentlichen Weinberg, den die Menschen durch Unglauben und lebensfeindliches Verhalten zerstören können.

Wir sind am Weinstock die Reben – wir sind Teil dieses Weinstocks und haben unser Leben dadurch, dass wir an diesem lebensspendenden Weinstock hängen – dass wir also unsere Lebenskraft, unseren „Odem“, unsere Energie, unseren Geist und unsere Seele durch die lebensspendende Kraft Gottes bekommen.

Es ist wie mit der Gesundheit – auch sie bekommen wir durch die Kraft und den Willen Gottes. Aber eben auch vieles andere bekommen wir dadurch: Unseren Charakter, unsere Talente und Fähigkeiten, unsere Neigungen und Stärken. Von manchem bekommen wir viel, von anderem hätten wir vielleicht gerne mehr. Da gehört auch die Gesundheit dazu, die nicht gleichmäßig unter uns Menschen verteilt ist und die wir – so lernen wir es gerade durch Corona – nur begrenzt schützen können. Auf der anderen Seite bekommen wir durch Gott noch so vieles andere geschenkt und wir erleben, wie wir geradezu verkümmern, wenn wir diese anderen Gaben Gottes nicht (aus-)leben dürfen, wenn wir durch Beschränkungen gehemmt und behindert werden. Eine Zeitlang schafft unsere Vernunft, diese Beschränkungen zu verstehen und deshalb anzunehmen, aber mit jedem Tag wird das schwerer.

Unser Auftrag ist nun, als Rebe am Weinstock zu bleiben – denn das ist die Voraussetzung, um Frucht bringen zu können. Natürlich kann dies sehr leicht auf die Kirche und das Leben in der Gemeinschaft der Gläubigen bezogen werden, aber diese Sichtweise ist möglicherweise zu eng.

Das Bildwort will uns jedenfalls motivieren, „Glaubensfrüchte“ zu bringen – also aus dem Glauben heraus Gutes zu tun. Umgekehrt möchte es uns klar machen, dass das Gute und alles, was uns täglich gelingt, uns nur mit der Hilfe und der Kraft Gottes möglich ist.

Die Warnung, dass fruchtlose Reben weggeworfen werden, sollen wir natürlich ernstnehmen – aber es wäre fatal, sie einfach auf diejenigen zu beziehen, die nach unserem Verständnis von Kirche nicht dazugehören. Möglicherweise bildet Kirche sich da, wo gute Früchte zu finden sind, denn sie können ja nur mit Gottes Hilfe wachsen und reifen. Hoffentlich geschieht das ganz häufig innerhalb der Kirche, insbesondere auch innerhalb unserer Kirchengemeinde – aber hoffentlich haben wir auch immer die Weite, die „unsichtbare Kirche“ ebenso wahrzunehmen und wertzuschätzen.

 

Einen gesegneten Sonntag – mit möglichst viel Grund zu Freude und vielleicht auch zum Jubeln!

Ihr Pfarrer Stefan Reichenbacher

 

Der Text zum Download: