Gedanken zum Sonntag „Kantate“ 2020 von Pfr. Stefan Reichenbacher

Apostelkreuz 1
Bildrechte Stefan Reichenbacher

Der Predigttext in diesem Jahr ist ein Abschnitt aus dem 2. Buch der Chronik. Diese Chronik-Bücher legen u.a. einen großen Wert darauf, dass beim Tempelbau und beim Tempelkult alles richtig gemacht wird. Das passt heute für uns wunderbar, denn unser Kirchenschiff ist nun fertig gesäubert und auch der Chorraum wird nächsten Sonntag fertiggestellt sein.

Hier Einweihung des neuen Tempels von König Salomo beschrieben. Musik und Gesang sind da ganz besonders wichtig, deshalb ein Text für den Sonntag „Kantate“ – „Singt dem Herrn“  – und dann kommt Gott mit seiner Herrlichkeit und nimmt Wohnung im Tempel…

Lesen Sie bitte aus dem 2. Buch der Chronik im 5. Kapitel!

Es ist eine heilige Handlung, die da beschrieben wird – und diese heilige Handlung soll sich übertragen auf das Gebäude, das dadurch geheiligt wird. Und wie als Bestätigung erscheint Gott in seiner Herrlichkeit und erfüllt das Haus Gottes.

Wenn wir in eine Kirche kommen, dann können wir auch die Heiligkeit des Raumes wahrnehmen – in manchen Kirchen fällt das leichter, in anderen weniger leicht. Unsere Kirche gehört sicher zu den Kirchen, die durch ihre Kunstwerke, insbesondere den Altar diese Heiligkeit besonders spüren lassen. Wenn wir dann noch singen oder die Orgel spielt oder ein Chor auftritt, dann können wir das ganz besonders spüren.

Unsere Kirche hat dazu noch etwas, womit wir sogar „beweisen“ können, dass dieser Kirchenraum auch ein in besonderer Weise geheiligter Raum ist. Zwar wurde er wohl nicht so feierlich eingeweiht wie damals der Tempel in Jerusalem, aber dennoch war das sicherlich auch hier damals vor ungefähr 800 Jahren eine sehr feierliche Zeremonie! Die Beweisstücke sehen sie an den Wänden – und jetzt dank der höher aufgehängten Kunstwerke an der Südwand sehen Sie auch das 11. und 12. Beweisstück: Ich spreche von den Weihekreuzen, die auch Apostel­kreuze genannt werden!

Seit der letzten Renovierung waren zwei von ihnen durch die Gedenktafeln der beiden Weltkriege verdeckt. Wahr­scheinlich hatte man damals gemeint, die Namen wären zu schlecht zu lesen, wenn sie so hoch hängen wie jetzt. Doch diese Entscheidung ist aus heutiger Sicht zu be­dauern. Denn es ist eine ganz große Besonderheit, dass noch alle 12 Apostelkreuze in unserer Kirche zu sehen sind! In vielen anderen alten Kirchen gibt es noch einzelne zu sehen – wir haben alle 12!

Was hat es damit auf sich?

Bei der Weihe unserer Kirche, die wohl im 13. Jahrhundert stattgefunden hat, hat der Bischof mit Weihwasser an 12 Stellen reihum die Wände besprengt. Dabei bat er um den Schutz der Heiligen 12 Apostel für diese Kirche und machte dadurch die Kirche zu einem heiligen Raum, in dem das Böse keine Macht haben solle.

An diesen Stellen wurde dann in den noch feuchten Putz ein Weihekreuz bzw. Apostelkreuz aufgemalt. Aufgrund der Baustelle im Chorraum können wir jetzt nicht alle Kreuze sehen, aber es stimmt wirklich. Mit diesen beiden sind es nun alle 12!

Interessant ist, dass unsere Apostelkreuze verschieden aussehen. Man nimmt an, dass die Ursprungskirche nur eine Chorturmkirche war – also eine viel kleinere Kirche unter dem Turm mit einem schmalen und kurzen Kirchenschiff noch ohne den Altarraum. Dort um den Taufstein herum wirken die Apostelkreuze ent­sprechend älter als hier im Kirchenschiff, das später erweitert wurde und wieder neu mit Apostelkreuzen versehen wurde.

Auch wenn wir Evangelischen solchen Symbolen und Weihehandlungen vielleicht etwas skeptischer gegenüber stehen, so sehr kann ich den Wunsch und den Glauben, dass durch diese Kreuze der Kirchenraum ein geheiligter und heiliger Raum ist, durchaus nachempfinden. Wenn wir uns nun umschauen, dann können wir uns beschützt und geborgen fühlen innerhalb dieser Kreuze.

Gerade in unsicheren Zeiten können diese Kreuze uns helfen, auf Gott zu vertrauen und darauf, das er unser Leben in der Hand hält, auch in Zeiten, die von der Angst vor einem Virus geprägt sind. Denn nicht ein Virus beendet menschliches Leben, sondern Gott.

Damals in Jerusalem geschieht das Unglaubliche bei der Weihe des Tempels: Gott kommt. Durch den Gesang und die Musik geradezu herbeigelockt kommt Gott und nimmt Wohnung im Tempel.

Nichts anderes tun wir im Anfangsteil unseres Gottes­dienstes: Wir singen, wir beten, wir zitieren alte Psalm­worte in den Wechselgesängen zwischen Liturg und Gemeinde, um Gott „herbeizulocken“ und uns wiederum zu öffnen und bereit für Gott zu machen: Und dann kommt die Lesung aus der Heiligen Schrift und unsere Antwort im Bekenntnis. Und dann die Predigt, die beides zusammen­bringen möchte: Das Wort Gottes und unsere Situation, die Probleme, die Sehnsüchte, die Freude, die Nöte der Menschen.

Das Kommen Gottes, sein Einzug in sein Haus sozusagen wurde damals als heilige Wolke wahrgenommen. Im katholischen Gottesdienst wird versucht, das mit dem Weihrauch in gewisser Weise nachzuerleben – damit haben wir Evangelischen es nicht so… Und doch können auch wir diese Heiligkeit des Raumes spüren – aber auf unsichtbare Weise. Wir kennen das Gefühl beim Eintritt in eine Kirche – diese Heiligkeit des Raums lässt sich spüren. Und wenn wir dann noch darüber nachdenken, wie viele Menschen seit wie vielen Generationen in diesem Kirchenraum gebetet, gesungen und auf Gottes Wort gehört haben…!

Man kann überall Gott nahe sein.

Man kann überall Gottes Nähe spüren.

Man kann überall Gottesdienst feiern.

Aber der Kirchenraum macht es uns leichter. Er wirkt – und kann uns gut tun. Und Gott hat es wahrscheinlich leichter, mit uns Kontakt aufzunehmen, weil dieser geheiligte Raum uns offener für ihn und für sein Wort und für seinen Geist macht.

Dennoch: Wenn Sie zurzeit die Kirche aber nicht oder nicht mehr besuchen können, dann seien Sie versichert: Es gibt keinen Raum ohne Gott. Und unser Gebet hört Gott von überall her! Und Gottes Geist wirkt an jedem Ort – ganz wie er will!

Amen.

Der Text zum Download: