Gedanken zum Sonntag „Rogate“ 2020 von Pfr. Stefan Reichenbacher

Liebe Gemeinde!

Rogate – Bittet, betet – heißt dieser Sonntag. Das Bitten und Beten, das Gebet überhaupt steht im Mittelpunkt dieses Sonntags.

Dank Corona ist in den letzten Wochen wahrscheinlich noch mehr als sonst um Gesundheit und speziell für Kranke und Sterbende gebetet worden. Auch wir haben es in Reutti wochenlang jeden Abend bis zum 9. Mai getan und beim Läuten aller Glocken um 19 Uhr unsere Bitten vor Gott getragen – laut oder im Stillen.

Natürlich weiß Gott, was für Bedürfnisse wir haben und was wir und andere Menschen zum Leben brauchen – und dennoch sollen und dürfen wir beten, dürfen wir Gott bitten und in den Ohren liegen. Ganz besonders freut sich Gott, wenn wir dabei nicht nur an uns und unsere Bedürfnisse denken, sondern auch an andere Menschen und ihre Sorgen und Nöte. Deshalb haben wir am Ende jedes Gottesdienstes das Fürbittgebet – wir beten für andere…

Das bekannteste christliche Gebet ist sicher das Vaterunser: Es wird selbst von Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben oder nicht mal Christen sind, mitgebet oder ist ihnen zumindest gut bekannt. Sterbende bewegen noch ihre Lippen, wenn ich es mit ihnen und für sie bei der Krankensegnung bete.

Es ist heute unser Predigttext. Im Matthäusevangelium ist es fast genau so überliefert, wie wir es kennen. Lukas erwähnt es auch, aber nur in Ausschnitten.

Lesen Sie bitte Matthäus 6,9 - 13

Das Vaterunser besteht aus sieben Bitten. Sie alle fußen auf der Anrede Gottes:

Unser Vater im Himmel…

Jesus betonte immer wieder, dass Gott für uns wie ein guter Vater ist. Dabei ging es ihm sicherlich nicht um das Männliche des Vaters, sondern um den Ausdruck einer Eltern-Kind-Beziehung. Wir sind Kinder Gottes. Und er ist wie ein guter Vater oder eine liebende Mutter. Und deshalb hat dieses Vaterunser eine einschneidende Bedeutung für alle Glaubenden!

Geheiligt werde dein Name…

Damit wird Gott Ehre erwiesen bzw. es wird klar gesagt, wer sozusagen der „Chef“ in unserer Welt und in unserem Leben ist: Der Name Gottes soll geheiligt werden und nicht etwa der eines menschlichen Herrschers oder eines anderen Gottes.

Dein Reich komme…

Wir leben im Glauben und in der Hoffnung darauf, dass das Reich Gottes der Liebe und des Friedens einmal kommen wird bzw. dass es mit dem Kommen Jesu in die Welt bereits angebrochen ist und sich immer mehr ausbreitet, je mehr Menschen an ihn glauben und ihr Leben nach ihm gestalten.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden…

Gott soll Herr sein und ist Herr über Himmel und Erde – er ist der wahre „Chef“. Und wir glauben, dass Gott nicht nur Herr ist in der unsichtbaren Welt, die wir mit „Himmel“ bezeichnen, sondern eben auch in der für uns sichtbaren Welt, in der wir leben!

Unser tägliches Brot gib uns heute…

Es ist bezeichnend, dass Jesus uns nicht lehrt: „Mein tägliches Brot gib mir heute“, sondern „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wir leben in einer Gemeinschaft und das, was ich brauche, braucht mein Mitmensch ebenso. Genauso wie ich den Sonnenschein und den Regen aber nicht für mich alleine pachten kann, so soll auch das Brot für alle sein.

Doch wohl nie ist es in der Geschichte der Menschheit gelungen, dass wirklich alle gleichermaßen Zugang zu Brot und Ernährung hatten – leider bis heute!

Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…

Mit wenigen Worten bringt Jesus auf den Punkt, was das Hauptproblem des menschlichen Zusammenlebens ist: Wir machen Fehler, wir fügen uns Leid und Unrecht zu, wir laden Schuld auf uns.

Jesus weiß, dass es nicht viel Sinn hat, darauf zu warten, dass der oder die andere den ersten Schritt tut oder gar um Entschuldigung bittet. Deshalb bietet er uns eine andere Herangehensweise an: Er vergibt uns, damit wir – von Schuld befreit – auch anderen vergeben können. Auf diese Weise können wir den ersten Schritt tun.

Und führe uns nicht in Versuchung…

Kann es sein, dass Gott uns in Versuchung führt? Das tut doch der Teufel – so argumentieren viele. Der Papst schlug deshalb vor, wir sollten besser beten: Führe uns in der Versuchung. Also, Gott möge uns führen, wenn wir Versuchungen zu widerstehen haben. Und damit ist nicht das Stück Torte gemeint, sondern die Versuchung zu lästern, über andere schlecht zu reden oder sich etwas anzueignen, was mir nicht gehört oder sonst wie zu betrügen, z.B. bei der Steuererklärung…

Ich denke, entscheidend sind nicht die Worte, sondern sind die Gedanken, die ich damit verbinde. Und da ist für mich klar, dass ich Gott bitte, dass ich nicht in Versuchung gerate – wodurch und durch wen auch immer! Und Gott wird mir darin beistehen.

Sondern erlöse uns von dem Bösen…

Damit wir erst gar nicht so häufig in Versuchung kommen, bitten wir darum, dass das Böse keine Macht mehr an uns finden möge. Natürlich wissen wir, dass dies nie vollkommen geschehen wird, so lange wir leben. Aber es soll unser Ziel sein, uns immer weniger vom Bösen beeinflussen zu lassen. Deshalb hat diese letzte Bitte einen tiefen Sinn: Denn wenn wir dieses Ziel erreichen würden, dann würden sich auch alle anderen menschlichen Probleme lösen.

Und weil wir Gott dankbar sind und ihn dafür loben wollen, dass wir ihn durch Jesus als Vater anbeten und ansprechen dürfen, hat wurde am Ende des Vaterunsers schon ab Anfang des 2. Jahrhunderts ein Lobpreis, eine Doxologie an den biblischen Wortlaut angehängt:

Denn dein ist das Reich und die Kraft und Herrlichkeit.

Damit soll noch einmal bestärkt werden: Gott ist es, der dies, worum wir bitten, allein bewirken kann!

Mehr als das Vaterunser braucht´s nicht, sagt Jesus. Und ich ergänze: Aber auch nicht weniger!

Amen.

Einen gesegneten Sonntag! Ihr Pfr. Reichenbacher

 

Ein ausführliches Vaterunser:

Vater unser.
Du bist unser Vater,
dir verdanken wir unser Leben.
Dir sagen wir,
worauf wir hoffen,
wonach wir uns sehen,
wovor wir uns fürchten.

Geheiligt werde dein Name.
Wir hoffen darauf,
dass deine Liebe die Welt verwandelt.
Verwandle uns,
damit wir deine Liebe zeigen.

Dein Reich komme.
Wir sehnen uns danach,
dass sich Gerechtigkeit und Frieden küssen.
Schaffe deinem Frieden Raum,
damit die Sanftmütigen das Erdreich besitzen.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Wir fürchten uns davor,
dass Leid und Krankheit kein Ende haben.
Heile die Kranken und behüte die Leidenden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.
Nicht nur uns,
auch denen, die verzweifelt nach Hilfe rufen,
die vor den Trümmern ihres Lebens stehen
und die sich vor der Zukunft fürchten.
Du bist die Quelle des Lebens,
verbanne den Hunger.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Öffne unsere harten Herzen für die Vergebung.
Öffne die Fäuste der Gewalttäter für die Sanftmut.
Lenke unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Versöhne uns und alle Welt.

Führe uns nicht in Versuchung.
Dein Wort ist das Leben.
Du kannst unsere Herzen verschließen vor Neid, Gier und Hochmut.
Halte uns ab von Hass und Gewalttätigkeit.
Bewahre uns vor den falschen Wegen!

Erlöse uns von dem Bösen
Öffne unsere Augen,
damit wir das Böse hinter seinen Verkleidungen erkennen.
Lass uns dem Bösen widerstehen und
befreie alle, die in der Gewalt des Bösen gefangen sind.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Du rufst uns beim Namen.
Du siehst uns -
wo wir auch sind,
am Küchentisch, in der Kirchenbank, in unseren Kammern.
Bei dir schweigen Angst und Schmerz. Auf dich hoffen wir heute und alle Tage.
In Jesu Namen vertrauen wir uns dir an.    

Amen.

Die Texte zum Download: