Gedanken zum Sonntag „Zum Guten Hirten“ 2020 von Pfr. Stefan Reichenbacher

Liebe Leserin, lieber Leser!
Der Sonntag „Zum Guten Hirten“, hat Jesus als den Guten Hirten zum Thema. Auf Lateinisch heißt der Sonntag „Misericordias Domini“ – das Erbarmen Gottes. Damit wird deutlich, worum es dem Guten Hirten geht: Er erbarmt sich über seine Schafe, die ohne ihn nicht klar kommen, die ihn brauchen als den, der den Weg weiß, der sie schützt vor dem Bösen und der sie befreit und rettet, wenn sie in Not geraten sind.

Jesus nimmt nun dieses in seiner Welt sehr bekannte Bild vom Hirten und den Schafen und überträgt es auf das, was er denen zu geben hat, die an ihn als Sohn Gottes glauben.

Und so steht dieser Sonntag unter folgendem Wochenspruch:
"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben." (Johannesevangelium 10,11a.27-28a)

Jesus kann das, was ein guter Hirte tut, sogar im übertragenen Sinne für uns tun: Er kann sogar über den Tod hinaus unser guter Hirte sein und uns das ewige Leben schenken!

Dies ist eine Zusage, die gerade in schweren Zeiten ein wichtiger Trost sein will und kann. Leben ist immer lebensgefährlich, sagte Erich Kästner. Und das stimmt – das stimmt in Corona-Zeiten ebenso wie in anderen Zeiten. Und ebenso stimmt, dass weit, weit mehr Menschen an anderen Krankheiten sterben – jedes Jahr und überall – als an Covid 19. Nur - das sind wir gewohnt und deshalb regen uns diese anderen Krankheiten nicht auf, obwohl sie zum Teil weit schlimmere Auswirkungen haben.

Ein bisschen vergleichbar ist unsere Situation heute mit der des 26. April 1986. Damals explodierte ein Atomreaktor in Tschernobyl und die daraus entstehende radioaktive Wolke wurde als Gewitterregen auch über Deutschland abgeregnet. Auch damals war Frühling, die Natur blühte auf, die Menschen freuten sich über schönes Wetter und Wärme – und bekamen gesagt, dass aber die Natur auf unsichtbare Weise „von jetzt auf gleich“ höchstgefährlich wurde. Gemüse und Obst von Äckern und Bäumen im Freiland sollte nicht mehr gegessen werden. Kinderspielplätze wurden gesperrt.

Doch bis heute streiten die Experten, wie viele Menschen wirklich gesundheitlich, insbesondere durch Krebserkrankungen, betroffen waren und daran gestorben sind: Je nach Sicht der Dinge bzw. politischer Einstellung liegt die Zahl zwischen 8930, 60.000 und 1,44 Millionen Menschen!

Es ist fraglich, ob beim Rückblick auf die aktuelle Pandemie die Zahlen eindeutiger werden – es wird z.B. noch immer nicht unterschieden, ob Menschen sehr hochaltrig oder durch schwere Vorerkrankungen mit dem Virus sterben oder tatsächlich eigentlich gesund an dem Virus sterben. Und vielleicht kann das auch nicht genau unterschieden werden.

Leben ist immer lebensgefährlich… Darum brauchen wir jemanden, der uns in diesem Leben beisteht und wir brauchen jemanden, der uns begleitet – sogar über den Tod hinaus.

Jesus kann das, so glauben wir als Christen. Und zum christlichen Glauben gehört auch die Überzeugung, dass das Leben in dieser Welt nicht das einzige ist, sondern noch ein weiteres folgen wird: das ewige Leben, das weder von Viren noch von radioaktiver Strahlung bestimmt sein wird.

Aber auch für dieses Leben hat unser Glaube einiges zu bieten!

Der Psalm 23 ist neben dem Vaterunser das bekannteste Gebet der Christen. Evangelische Schulkinder und Konfirmand*innen müssen es auswendig lernen.

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Mit diesem Psalmgebet kann man in nahezu jeder Lebenssituation passsende Worte finden – zum Klagen, zum Danken, zum Trost, zur Hoffnung.

Der Psalm 23 macht aber auch etwas anderes deutlich, was mir durch die vielen Einschränkungen dieser Tage immer wichtiger wird: Der Psalm spricht davon, dass der Gute Hirte für frisches Wasser, für grüne Auen einerseits und andererseits für das Wohlergehen der Seele sorgt. Mit anderen Worten: Der Gute Hirte sorgt für die leiblichen Bedürfnisse wie Essen und Trinken einerseits und andererseits für die seelischen Bedürfnisse.

Durch die Schutzvorschriften vor Ansteckung hat unser Staat (wie fast alle anderen Staaten) entschieden, was das höchste Gut im menschlichen Leben und was deshalb vordringlich zu schützen sei: die leibliche Gesundheit! Alles andere sei dem unterzuordnen.

Je länger diese Einschränkungen nun aber andauern, merken wir, so wichtig die körperliche Gesundheit uns allen ist, es gibt noch anderes, wovon wir leben! Jesus hat es einmal so ausgedrückt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – so wichtig die leiblichen Bedürfnisse sind, sie sind nicht alles, was für uns Menschen wichtig ist! Soziale Kontakte, vor allem mit unseren Angehörigen, menschliche Nähe und Zugewandtheit, Sorge und Pflege der Seele – auch durch geistliche Angebote wie Gottesdienste oder auch kulturelle Veranstaltungen sind Dinge, die viele Menschen für ihr seelisches Gleichgewicht brauchen. Gut, dass dies inzwischen erkannt wird! In diesen Tagen wird von Kirchenleitenden und Regierungsvertretern intensiv daran gearbeitet, wie z.B. Gottesdienste ab 4. Mai durchführbar sein sollen.

Was mir auch deutlich geworden ist – nicht zuletzt aus vielen Gesprächen mit Hochaltrigen: Unsere Senioren wollen ganz gerne selbst mit entscheiden, wieviel Schutz sie haben wollen, welche Unterstützung sie annehmen möchten und was sie eben dennoch gerne selbst machen wollen. Ich habe viele unserer über 80-Jährigen angerufen und sie gebeten, für sich einkaufen zu lassen - wir haben in Reutti weit mehr junge Leute, die helfen möchten, als Bedarf. Aber ich habe gelernt, dass ich als Jüngerer akzeptieren muss, dass unsere Senioren selbst entscheiden wollen, welches Risiko sie auf sich nehmen möchten, z.B. beim Einkaufen.

Ebenso habe ich gelernt, dass es gerade für die Senioren ganz besonders schlimm ist, wenn sie von ihren Kindern und Enkeln nicht besucht werden dürfen. Auch hier ist zu fragen, ob es wirklich das Recht (oder gar die Pflicht) des Staates ist, Besuche von Angehörigen zu unterbinden.

Schließlich musste ich bei der Begleitung Sterbender und bei Trauergesprächen hören, wie schlimm es war, die sterbende Angehörige im Krankenhaus nicht begleiten zu dürfen – bei allem Verständnis für diese Schutzmaßnahme. 

Er erquicket meine Seele. Diese Aufgabe des Guten Hirten übernimmt traditionell zu weiten Teilen die Kirche für die Menschen – oft in Zusammenarbeit mit dem Staat, wie z.B. im Bereich der Fürsorge für Kinder in Kindertagesstätten. Es ist fatal, wenn dies aufgrund von Kontaktbeschränkungen und einem extremen Zurückfahren des öffentlichen Lebens nicht möglich ist. Hoffen wir, dass sich dies mit Augenmaß und Vernunft, aber Schritt für Schritt nun wieder ändert!

Normalerweise hätten wir in Reutti an diesem Sonntag „Zum Guten Hirten“ Konfirmation gefeiert: Nicht nur für die Konfirmanden und Konfirmandinnen, auch für ihre älteren Angehörigen, die auf diesen Tag hingelebt haben, sehr traurig, dass dies nun nicht geschieht. Noch ist völlig offen, wann wir die Konfirmation, aber auch die vielen geplanten Taufen und Trauungen werden nachholen können. Aber wenn es dann soweit ist, dann wird die Freude groß sein!

Gebe Gott, dass wir dies alle bei guter Gesundheit erleben werden!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten und hoffnungsfrohen Sonntag zum Guten Hirten!

 

Der Text zum Download: