"Lebens-Wert" in Zeiten von Corona - Predigt anlässlich des nicht stattfindenden Dorffestes 2021

Bitte lesen Sie Prediger / Kohelet 3,1-8: "Alles hat seine Zeit"

 

Liebe Gemeinde!

Alles hat seine Zeit – auch Corona?!

Das ist schon eine steile These. Ich spür die Widerstände in mir, wenn ich das so höre. Ich kann den Gedanken aber auch nicht ganz wegwischen. Krisen haben auch ihre Zeit, ja, das stimmt wohl schon. Und Corona hat uns in eine schwere Krise gestürzt, wohl die schwerste weltweit seit dem 2. Weltkrieg.
Krisen können am Ende auch Gutes bewirken trotz allem Schweren und Schlimmen. Sie können uns helfen, Dinge klarer zu sehen, alten Ballast abzuwerfen und offen zu werden für Neues. Das stimmt auch.

Aber wenn wir jetzt sagen: Corona hat seine Zeit – dann wirkt das erst mal so, als wären wir damit einverstanden, als wäre Corona so etwas Selbst­verständliches wie Streit und Liebe, Pflanzen und Töten. Da sträubt sich etwas in mir. Corona soll nicht selbstverständlich sein, es soll eine Ausnahme sein, die irgendwann vorbei ist und die ich dann wieder vergessen kann – so sagt es zumindest eine Stimme in mir und ich weiß, dass sich das viele Menschen so wünschen!

Aber wenn ich genauer drüber nachdenke, dann bin ich auch mit vielen anderen Dingen aus diesem Bibeltext nicht einverstanden: Z.B. mit dem Sätzlein „Töten hat seine Zeit“. Aber leider muss ich zugeben, dass dennoch tagtäglich getötet wird unter Menschen – sei es in bewaffneten Konflikten und Kriegen, sei es bei einem Amoklauf in einer Stadt wie vorgestern in Würzburg. Töten hat leider wohl doch seine Zeit.

Ich merke, dass ich da nicht weiterkomme. Töten, Corona und so vieles andere machen keinen Sinn, der uns einleuchten will, aber wir sind gezwungen, damit umzugehen, ob wir wollen oder nicht. Und deshalb stimmt der Satz wohl doch irgendwie: Corona hat seine Zeit – Gott sei´s geklagt!

Ich denke, wir kommen weiter, wenn wir weniger über Corona und seine Schrecken nachdenken, sondern mehr darüber nachdenken, was dieser Stillstand, dieses erzwungene Innehalten durch die Corona-Gegen­maßnahmen für uns an Möglichkeiten eröffnet hat.
Viel wurde schon darüber geschrieben, wie die Natur sich erholt hat, die Tiere plötzlich wieder Lebensraum zurückerobern konnten, den ihnen der Mensch rücksichtslos weggenommen hatte. Und auch uns Menschen hat es in vielen Fällen nicht geschadet, einen oder zwei Gänge runterzu­schalten und etwas langsamer zu leben, auch etwas bewusster zu leben.

Sie, liebe Gemeinde, haben vorhin beim Interview mit Herrn Diakon Dirscherl viele Beispiele aufgezählt, was das Leben lebenswert macht: Freunde treffen, in den Kindergarten gehen, an der Musikprobe teilnehmen, in der Familie zusammensein...
Manche dieser Dinge hätten Sie vor Corona sicher ganz genauso gesagt, manche sind Ihnen aber vielleicht auch durch Corona erst noch viel bewusster geworden – und sei es dadurch, dass wir sie einige Monate nicht tun durften wie z.B. Freunde treffen oder unsere Alten im Pflegeheim besuchen.

Vor Jahren haben wir einmal einen DorffestGD zum schwäbischen Thema gemacht: „S´gibt koi Schädle, das net au a Nützle hot“.
Das viele Unglück, die Kranken, die Toten, die uns das Virus beschert hat, sind schlimm und für die Betroffenen schrecklich. Aber auch wer nicht direkt betroffen war, wurde durch die Gegenmaßnahmen im alltäglichen Leben stark beeinträchtigt.

Auf einmal haben wir gemerkt, wie wenig selbstverständlich unser Leben ist, wie wenig wir planen können, wie sehr wir spontan reagieren mussten. Auf einmal haben Dinge, über die wir zuvor kaum nachgedacht hatten, einen neuen Wert bekommen:
Freunde zu treffen und mit Ihnen einen Kaffee trinken zu gehen, in die Stadt zum Shoppen zu gehen, in die Schule zu gehen und Klassenkameraden zu treffen, das Kind im Kindergarten abzugeben und selbst ins Büro zum Arbeiten zu fahren… Ja sogar der Gottesdienst war letztes Jahr für ein paar Wochen verboten und wurde von Vielen als etwas doch eigentlich Selbstverständliches vermisst. Und zum zweiten Mal in Folge haben wir nun kein Dorffest – was für uns in Reutti doch eigentlich selbstverständlich zum jährlichen Lebensrhythmus gehört! Hätte jemand vor 2 Jahren gesagt, dass es 2020 und 2021 kein Dorffest geben wird, hätte derjenige sicher ungläubiges Kopfschütteln geerntet.

Aber: Vieles hat durch Corona einen neuen Wert bekommen, ja der Wert des Lebens macht sich nun auch noch an anderen Dingen fest als vor Corona, weil bestimmte Dinge ganz neu oder noch stärker als „lebenswert“ empfunden werden. Und wenn wir zukünftig vor allem in der Arbeits- und Geschäftswelt weniger durch die Gegend fliegen und mehr digital unterwegs sind, dann ist das ein ökologischer Fortschritt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Alles hat seine Zeit – auch Corona hat seine Zeit, so ist es wohl.
Wenn wir aber als Christen auf diese Erkenntnis schauen, dann müssen wir bei diesem Gedanken nicht stehen bleiben.
Als Christen glauben wir, dass Gott der Herr aller Zeit ist. Gott schenkt Zeit, schenkt Lebenszeit. Und diese Lebenszeit beinhaltet all diese Zeiten, von denen der Prediger Kohelet spricht: Die angenehmen und die unangenehmen Zeiten, die schweren und die glücklichen.

"Meine Zeit steht in deinen Händen", betet der Psalmist. Auch die Corona-Zeit steht deshalb in Gottes Händen. Und wir bleiben in Gottes Hand auch in solchen Krisenzeiten.

Das Schwere nun ist: Wir müssen wohl oder übel lernen, diese Zeit in unsere Lebenszeit zu integrieren. Die Coronazeit wird eben nicht irgendwann vorbei sein. Sie wird weniger gefährlich und tödlich sein, das können wir sicher hoffen, aber wir werden mit ihr und in ihr leben müssen so wie wir auch mit Zeiten des Hasses und des Tötens leben müssen, so bitter das ist.

Aber weil auch diese Krisenzeiten in Gottes Hand stehen, können wir sie Gott zurückgeben und sagen: Wende du zum Guten, was wir in dieser Zeit Schlimmes erleben mussten, lass du Neues wachsen, wo Altes vergangen ist, sei du der Trost für die Trauernden und die Hoffnung für die Leidenden.

Amen.