Predigt über Helene Weber - Predigtreihe "Frauen ins Licht gerückt"

PREDIGT ZU HELENE WEBER im Rahmen der Predigtreihe

„Frauen ins Licht gerückt“ von Pfarrer Tobias Praetorius

 

Von Gott geliebte Gemeinde,

das Neue Testament berichtet für die Antike auffallend respektvoll von Frauen und Kindern. Die als Evangelium gehörte Erzählung von Jesus, wie er Mütter und ihre Kinder als respektwürdige Personen in den Mittelpunkt stellt, ist bei den drei Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas gleichermaßen überliefert. Sie gehört zum Kernbestand unserer christlichen Tradition und wird bei jedem Taufgottesdienst gelesen.

“Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.”

Es ist ein Kernsatz des christlichen Bildes vom Menschen: Jede und jeder, egal ob groß oder klein, ob alt oder jung, ob Mann oder Frau, ob krank oder gesund – jede und jeder ist ein geliebtes Kind Gottes. Und wer das von den kleinsten Kindern abschaut, die ähnlich vorbehaltlos auf andere zugehen (wenn es ihnen von den Erwachsenen nicht anders “eingebläut” wurde), der ist –so Jesus- schon ganz nah dran am Reich Gottes.

Es ist auffällig, wie Jesus in den drei synoptischen Evangelien regelrecht als “Frauenversteher” dargestellt wird. Zwei Beispiele aus dem Markusevangelium:

Markus 5: “Die Heilung einer blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jairus” – so überschreibt Luther dieses Kapitel.

Hier werden zwei “Frauen-Tabu-Themen” angesprochen: Menstruationsproblme einer Frau. Sie war schon bei vielen Ärzten, die ihr nicht helfen konnten und – man beachte das!- sie will sich HEIMLICH von Jesus heilen lassen, indem sie sein Gewand berührt. Jesus macht aber das volle Gegenteil: Er zerrt die Frau mit ihrem Tabu-Thema an die Öffentlichkeit und fragt: Wer hat mein Gewand berührt? Was er damit macht, ist bemerkenswert. Die Frau erzählt ihre Leidensgeschichte und wird somit zur Fürsprecherin für ganz viele Frauen mit genau den gleichen Problemen. Für die Antike ist das revolutionär feministisch!

In diese Geschichte verwoben ist die ebenso merkwürdig anmutende Erzählung von der “scheintoten” Tochter des Synagogen-Vorstehers Jairus. Auch hier ein damaliges (aber in anderen Kulturkreisen leider auch heute noch lebendiges) Mädchen-Problem. Auch hier ist die Beschreibung der Details wichtig:

1. Die Familie halt das Mädchen für tot, Jesus aber sagt: Sie ist nicht tot, sondern sie schläft.

2. Anders als bei der Frau wirft Jesus hier alle hinaus und lässt nur Vater und Mutter zu.

3. Er ergreift die Hand des Kindes und gibt einen Befehl, der klarer nicht sein könnte: “Steh auf!” – wie bei einem bockigen Kind. Und das Kind steht auf.

4. Nahezu beiläufig wird dann erwähnt, dass das Mädchen 12 Jahre alt ist.

Der –in anderen Fragen durchaus umstrittene- katholische Theologe und Tiefenpsychologe Eugen Drewermann betont alle diese Details, die ja tatsächlich in der Geschichte drin stehen und zieht daraus folgenden Schluss:

Das Mädchen ist 12 Jahre alt und damit im heiratsfähigen Alter. Wie üblich wird sie –als Tochter des Synagogen-Vorstehers ist sie eine “gute Partie” – vermutlich an einen anderen “Honoratioren” verheiratet, aber sie will nicht. Sie tritt in einen Hungerstreik und steigert sich derart in ihre lebensverweigernde Apathie, dass sie “wie tot” wirkt. Ich bin kein Medizinier, aber angeblich gibt es solche Phänomene, dass der menschliche Körper im Falle eines kompletten Nahrungsentzugs seine Funktionen und auch die Temperatur so weit reduziert, dass es aussieht wir tot. Jedenfalls schließt sich so der Kreis mit der anderen Geschichte: Auch hier ist es ein Frauenthema, das -Gott sei Dank und dank des christlichen Menschenbildes-  in unseren westlichen Kulturen längst verschwunden ist: Das Mädchen wehrt sich gegen die Zwangsheirat. Ein echtes Frauenthema – und ebenfalls revolutionär, dass Jesus und das Markus-Evangelium das so offen ansprechen.

Erstaunlich auch, dass die ehemalige Prostituierte Maria Magdalena zum erweiterten Jüngerkreis gezählt und namentlich erwähnt wird, wie es eben auch Frauen waren, die es unter dem Kreuz bis zum Schluss aushielten, und dass sie es waren, die die ersten Zeugen der Auferstehung sind.

Umso erstaunlicher, welche “Rolle rückwärts” die Kirche dann nach Jesus gemacht hat. Frauen bekommen spätestens im 2. Jahrhundert keine kirchlichen Ämter mehr und bleiben über fast zwei Jahrtausende davon ausgeschlossen. Trotz und entgegen der biblischen Tradition von Jesus!

Erst im 20. Jahrhundert war offenbar die Zeit dafür reif, dass Frauen die von Jesus offenbar als selbstverständlich vorausgesetzte Gleichheit auch wirklich erkämpften. Einzelne herausragende Frauen gab es natürlich auch vorher schon: In der Politik z.B. Rosa Luxemburg, als Unternehmerin z.B. Margarethe Steiff und unzählige andere. Sie waren herausragende Persönlichkeiten, die meist  selbst mit herausfordernden Umständen zu kämpfen hatten und so über sich und die damalige Gesellschaft hinauswuchsen. Aber sie blieben immer Einzelfälle. Es führte noch lange nicht zur wirklichen Gleichberechtigung oder gar zu einer Gleichstellung von Frauen.

Vier Frauen haben sich das nach der Nazi-Diktatur auf die Fahnen geschrieben. Sie gelten als die “vier Mütter des Grundgesetzes”: Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel.

Interessant ist, dass die ersten beiden von ihnen der SPD angehörten und über die Tätigkeit in der Arbeiterwohlfahrt bzw. ein Jura-Studium mit dem Schwerpunkt-Thema “Ehescheidung” zum Thema Gleichbereichtung kamen.

Die anderen beiden, Helene Wessel und Helene Weber, arbeiteten beide im katholischen Fürsorgeverein für Mädchen bzw. im katholischen Frauenbund. Alle vier Mütter des GG wären gleich interessant als Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Heute soll von ihnen Helene Weber ins Licht gerückt werden. Wichtige Stationen aus ihrem Leben:

Helene Weber

17.3.1881 geboren in Elberfeld (heute Wuppertal);

Mutter: Agnes van Gent; Vater: Wilhelm Weber, Volksschullehrer und Vorsitzender des Ortsverbandes der Zentrumspartei

1905–1909 Studium der Romanistik, Philosophie,

Volkswirtschaft und Geschichte in Bonn und Grenoble,

ab 1909 Berufstätigkeit als Oberlehrerin in Bochum und ab 1911 in Köln

1911   Eintritt in den Frauenstimmrechtsverband

1916   Gründung und Leitung der Sozialen Frauenschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), Köln

1918   Vorstandsmitglied des KDFB sowie Gründungsmit-glied und lebenslang Vorsitzende des Vereins katholischer Sozialbeamtinnen Deutschlands

1919–1920 Abgeordnete der Weimarer Nationalversammlung (Zentrum)

1920   Erste weibliche Ministerialrätin der Weimarer Republik im preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt

1924–1933   Reichstagsabgeordnete (Zentrum), seit 1927 Fraktionsvorstand

1933   Aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des

Berufsbeamtentums“ aus dem Dienst entlassen

1946–1947 Mitglied des ersten Landtags in Nordrhein-Westfalen (CDU)

1948–1949 Mitglied im Parlamentarischen Rat, Grundsatzausschuss

1948–1956 Mitbegründerin und Vorsitzende der Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU (ab 1956 Frauen Union)

1949–1962 Mitglied des Bundestages für die CDU, Vorsitz des Familienrechtsausschusses

1952–1959 Vorsitzende des Müttergenesungswerkes

25.7.1962                  in Bonn gestorben

 

Helene Weber war neben Paul Löbe und Wilhelm Heile eines von drei Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die bereits der verfassunggebenden Nationalversammlung der Weimarer Republik angehört hatten. Sie war Abgeordnete des Preußischen Landtags und des Reichstags. Die erste Ministerialrätin der Weimarer Republik wurde von den Nationalsozialisten im Juni 1933 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Ministerialdienst entlassen. In den Parlamentarischen Rat der BRD kam Helene Weber durch eine Intervention der Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU, die „mindestens eine Frau“ in den Beratungen vertreten wissen wollte. Helene Weber war Mitglied im Aus-schuss für Wahlrechtsfragen, im Ausschuss für Grundsatzfragen und gehörte als Schriftführerin dem Präsidium des Parlamentarischen Rates an. Im Ausschuss kämpfte sie vor allem für den Schutz von Ehe und Familie und für das Elternrecht (Artikel 6 und 7 GG). Gerade bei diesen Fragen trat Weber als engagierte Katholikin auf und machte sich zur Befürworterin zahlreicher Briefe und Petitionen, die in dieser Frage den Parlamentarischen Rat erreichten.

Auch beim Thema Lohngleichheit von Frauen und Männern trat Helene Weber – zusammen etwa mit Frieda Nadig – engagiert für eine verfassungsrechtliche Verankerung ein. Mit der Begründung, dass detaillierte Regelungen der Sozialordnung nicht Aufgabe des Grundgesetzes seien, lehnte die Mehrheit des Parlamentarischen Rates diesen Vorstoß aber ab. Bei der Debatte um Artikel 3 war Helene Weber anfangs Befürworterin von Formulierungen, die denen der Weimarer Verfassung ähnelten. Die Argumente der in dieser Frage sehr aktiven außerparlamentarischen Frauenbewegung überzeugten sie. Sie setzte sich daraufhin auch in ihrer Fraktion für die klare Formulierung „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“ ein. Um „die Eigenart und die Würde der Frau“ zu berücksichtigen, sprach sie sich ergänzend dafür aus, Frauen bestimmte Vorrechte zu sichern. Zusammen mit Helene Wessel kämpfte sie für Artikel 6 Absatz 4 GG: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft”.

Helene Weber gehörte von 1949 bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 dem Deutschen Bundestag an und vertrat die junge Bundesrepublik auch in europäischen Gremien. Sie hatte lebenslang zahlreiche Leitungsämter in der katholischen Frauenbewegung, war Vorsitzende des Müttergenesungs-werks sowie Mitbegründerin und Vorsitzende der Frauen Union der CDU.

Wie ihre Mitstreiterinnen war ihr klar, dass eine Gleichberechtigung der Frauen unbedingt Verfassungsrang haben musste, sonst wird sie wirkungslos bleiben. Helene Weber galt als die “Netzwerkerin” unter den 4 Müttern des GG. Sie hielt und vermittelte politische Kontakte innerhalb und außerhalb des Parlamentes und war immer auch offen für die Anliegen von Frauen, die in anderen Gremien und Einrichtungen formuliert wurden. Ihr Engagement und der langjährige Vorsitz im Müttergenesungswerk neben der Tätigkeit als Abgeordnete zeigt deutlich, dass ihr bis zuletzt auch der Praxisbezug wichtig war, um Frauenthemen aufzugreifen.

Wo stehen wir heute?

Ich persönlich denke, wir stehen an einer wichtigen Stelle. Viele von den Gleichstellungszielen von 1949 sind immer noch nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Frauenquote in den Führungsetagen von Dax-Unternehmen ging in den letzten Jahren eher zurück. Leider. Freiwillige Selbstverpflichtung funktioniert offenbar nicht. Die Mütter des GG wussten das und wollten mehr!

Wenn man der Wertschätzung Jesu für Frauen und Kinder, wie sie uns in der biblischen Tradition entgegen tritt, in der heutigen Zeit Geltung verschaffen will, dann sind die Ziele im GG dazu klar formuliert worden.

Art 3 GG (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Ich persönlich hoffe, dass wir mit den vier Jahren von Donald Trump als hoffentlich letztem Chauvinisten und Macho an der Spitze einer westlichen Weltmacht noch einmal ein letztes Aufbäumen einer gestrigen Männlichkeits-Kultur erlebt haben, nach dem Motto: “Ich bin der alleinige Herrscher. Ich habe die Macht und nach meiner Pfeife müssen alle tanzen…”.

Und ich hoffe weiter, dass das urchristliche Thema “Gleichberechtigung aller Menschen”, das mit der Gleichstellung der Geschlechter beginnt, aber noch lange nicht zu Ende ist, uns in eine fairere und ausgeglichenere Zukunft weltweit führt. Die Grundlagen sind dank der vier Mütter im GG bei uns jedenfalls gelegt. Sie müssen aber immer neu ausgestaltet warden.

Immer mehr Frauen führen politisch Länder und Regierungen: nicht nur in Deutschland, in Finnland, in Neuseeland. Und man muss nüchtern feststellen: Der Politikstil der meisten dieser Frauen ist erfreulich sachorientiert, pragmatisch und ausgleichend. Das macht Hoffnung.

Das Paradies, das ausgleichende Gerechtigkeit für alle bringt, indem es jedem Menschen den Anteil zumisst, den er oder sie zu einen guten Leben braucht, wie es das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg sagt - das werden wir wohl erst in der Ewigkeit finden.

Anspruch einer christlichen Ethik sollte es aber mindestens sein, sich dorthin auf den Weg zu machen. Helene Weber kann hier ein echter Leuchtpunkt sein. Amen.