Das himmlische Haus in der Ewigkeit - das Ziel für alle Christen

Predigt zu 2. Kor 5,1-10 am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres - Volkstrauertag - von Pfarrer Stefan Reichenbacher

 

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext, der in diesem Jahr für den vor­letzten Sonntag des Kirchenjahres vorgesehen ist, steht im 2. Korintherbrief des Paulus.
Paulus spricht hier in Bildern von der Tatsache, dass wir als Christen gerne ganz nah bei Gott wären. Ich lese nach der Übersetzung der Basis-Bibel. In ihr wird der irdische Leib des Menschen als Zelt bezeichnet – im Gegenüber zum himmlischen Haus. Noch leben wir in unserem Zelt, unserem irdischen Leib, aber wir haben bereits den Geist von Gott bekommen, der uns auf dieses himmlische Haus in der Ewigkeit hoffen lässt.

Hören wir Paulus:

lesen 2. Kor 5,1-10

Ich denke, jeder und jede kennt dieses Gefühl der unangenehmen Nacktheit: Frauen kennen das vom Frauenarzt oder der Frauenärztin. Ich selbst erinnere mich z.B. noch an meine Musterung. In einem kühlen Raum sich ausziehen müssen, warten, dann irgendwann von einem fremden Menschen begutachtet werden, vielleicht sogar betastet zu werden an Stellen, an denen es einem peinlich ist.

Wieso ist das so unangenehm?
In der Sauna, am FKK-Strand oder vor dem eigenen Mann, der eigenen Frau ist es doch auch nicht unangenehm, nackt zu sein?
Es ist die Ungleichheit und die Unvertrautheit: Der Arzt ist angezogen und womöglich ist er mir fremd. Es besteht keine Vertrautheit. Allein dadurch wird das Verhältnis ungleich, allein dadurch wird er mächtig und unangreifbar.  

In solchen und ähnlichen Situationen fühlen wir uns unterlegen und verletzlich. Wir fühlen uns „bloß-gestellt“, sagen wir bildhaft.
Und auch das kennen wir: Das im übertragenen Sinne bloßgestellt werden: Wenn einer Dinge ausplaudert, die ich ihm anvertraut habe. Wenn Menschen Dinge über mich erfahren, die sie nichts angehen. Dann fühlen wir uns wie ausgezogen, schutzlos den Angriffen oder dem hämischen Grinsen aus­gesetzt.

Aber nicht immer sind es andere Menschen, die uns verletzbar und angreifbar machen, es können auch bestimmte Lebenssituationen sein, die uns in ähnlicher Weise zusetzen.
Ganz besonders unbarmherzig sind Krankheit und Tod: Im Angesicht einer schweren Krankheit oder gar des Todes von Menschen, die uns wichtig sind und uns nahe stehen, können wir unsere Gefühle nicht verstecken, sind wir verletzlich. Wir erleben, wie unterlegen und machtlos wir sind gegenüber der Ausweglosigkeit schwerer Krankheiten oder der Endgültigkeit des Todes.

Heute am Volkstrauertag und auch am nächsten Sonntag, dem Toten- und Ewigkeitssonntag, er­innern wir uns in besonderer Weise an solche Sterbe- und Todessituationen. Sie kosten Kraft. Wir gehen zu den Gräbern und uns wird bewusst, wie sterblich wir sind. Wir müssen zugeben, dass wir nichts mitnehmen können in diesen Tod, eigentlich nicht einmal das einfachste Leichen­hemd. Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden, heißt es in einem Psalmwort.

Paulus benutzt das Bild vom Nacktsein, um sich und uns unsere eigene Sterblichkeit bewusst zu machen: Unser ganzes Leben lang werden wir vom Tod begleitet. In Kriegszeiten ist das sehr offensichtlich, da ist das jedem bewusst, Soldaten wie Zivilisten,  aber es gilt ebenso in Friedens­zeiten. Unser Körper ist Krankheit und Verfall ausgesetzt, wir werden älter und irgendwann müssen wir sterben. Unser Körper, so sehr wir ihn mögen und vielleicht sogar ganz zufrieden sind mit ihm, ist etwas Vorübergehendes, etwas Provi­so­risches.

Paulus vergleicht den menschlichen Körper mit einem Zelt. Für die Bibelfesten unter Ihnen – Luther übersetzt mit „Hütte“. Aber tatsächlich steht da im Griechischen "Zelt" und das gefällt mir doch besser. Zelten kennen wir wahrscheinlich alle, zumindest aus Kinderzeiten. Zelten ist ja eigentlich etwas sehr Schönes, macht Spaß, solange man es freiwillig tut.
Ich erinnere mich gern an unser Vater-Kind-Zelten im August in Zeiten vor Corona. Manchmal hatten wir da auch schon Regen und Sturm, zum Glück oft erst in der Nacht. Natürlich waren wir dann froh, wenn der Sturm nicht zu stark war und wenn es nicht zu sehr geregnet hatte. Denn in einem Zelt sind wir nicht so sicher wie in einem Haus. Das Wetter wird viel unmittelbarer erlebt – und das ist nicht immer angenehm.

Erst recht gilt das für Menschen in Kriegs- und Krisengebieten. Sei es, dass sie ihre Häuser verlassen müssen, um zu fliehen wegen eines Krieges, sei es dass Erdbeben, Vulkanausbrüche, Regengüsse oder Schneelawinen ihre Häuser zerstören. Fast alles mussten Menschen in diesem Jahr schon ertragen und überlegen – bei uns und in anderen Ländern.
Bald werden wir in den Nachrichten auch wieder die betroffen machenden Bilder von Menschen sehen, die bei Minusgraden in Zelten überleben müssen. Natürlich sehnen sich diese Menschen nach einem festen Haus, nach isolierten Fenstern und Wänden und einem warmen Ofen.

Was Zelte und Häuser anbelangt, da geht es den meisten von uns bereits himmlisch gut – sehen wir einmal ab von Obdachlosen und Armen, die es auch bei uns gibt.
Was aber unseren Körper anbelangt, da haben wir nicht mehr als ein Zelt, das den Stürmen und Unwettern des Lebens ausgesetzt ist – da nützt uns auch das größte und tollste Haus nichts, sozusagen der fitteste und trainierteste Körper. Die Coronakrise zeigt uns unsere körperliche Verletzlichkeit unbarmherzig auf, nun schon seit mehr als eineinhalb Jahren – und das wird sich so bald auch nicht ändern.

Doch Paulus macht uns Hoffnung auf einen neuen Leib im Himmel, der dann nicht mehr Krankheiten und dem Älterwerden ausgesetzt ist. Der Tod ist dann überwunden – und auch jegliches Bloßgestellt­werden gehört dann der Vergangenheit an. Das ist die Hoffnung der Christen, an die Paulus kraft des Hl. Geistes glaubt.
Allein diese Hoffnung kann für uns Christen bereits wie ein zusätzliches Gewand wirken, mit dem uns Jesus Christus überkleiden will. Wir haben auch in solchen unangenehmen oder gar krisenhaften Situationen, wie ich sie vorhin be­schrieben habe, noch ein Gewand, in das wir uns einhüllen und in dem wir Schutz suchen können: Es ist die Hoffnung auf das, was einmal kommen wird und im Glauben schon jetzt da ist. Das Gewand, das Jesus Christus für jeden von uns bereithält, der an ihn glaubt und sich auf ihn verlässt.
Freilich, wir haben jetzt nur den Glauben - auf das Schauen, wie es dann wirklich sein wird, müssen wir noch warten, sagt Paulus mit Recht.

So weit, so gut. An dieser Stelle könnten wir die Predigt nun eigentlich ganz schön beenden – wäre da nicht noch ein Sätzlein, das auch Spruch dieses Sonntags für die ganze kommende Woche ist.
Es ist eine Aussage, die diesen Predigttext mit dem Evangelium vom Jüngsten Gericht, das wir vorhin gehört haben, verbindet.
Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.        

Das ist alles andere als ein tröstlicher oder Mut machender Satz, eher ein niederdrückender oder gar Angst machender: Im Mittelalter bis zur Zeit Martin Luthers wurde mit solchen Sätzen den Gläubigen Angst gemacht und die Kirche hat gut dabei verdient, indem sie für teures Geld Ablässe verkauft hat, durch die sich Gott angeblich besänf­tigen ließe.
Martin Luther hat dann bei Paulus die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben neu entdeckt. Das war damals eine große und wichtige Erlösung von der immerwährenden Angst vor Fegefeuer und Hölle.
Aber in späteren Jahrhunderten hat die Botschaft von der Gerechtsprechung des Sünders dazu geführt, dass in der evangelischen Kirche fast gar nicht mehr vom Gericht gepredigt wurde. Dement­sprechend hat der aufgeklärte Mensch heutzutage in aller Regel nicht wirklich Angst vor den Folgen seines Tuns in der himmlischen Ewigkeit.
Ist das vielleicht mit ein Grund, warum so viele Menschen in den oberen Etagen der Bürotürme von Banken und Firmen so gewissenlos auf Kosten anderer leben und verdienen. Und manche Probleme unserer Zeit – sei es im Umgang mit Menschen oder mit der Natur – hätten wir nicht, wenn wir uns noch bewusst wären, dass wir einmal vor Jesus über unser Tun Rechenschaft ablegen werden müssen.  

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.       

In Frage stellen sollten wir nicht, dass wir einmal vor Gericht gestellt werden – das wird kommen. Aber wie dieses Gericht ablaufen wird, dazu ist neues Denken gefragt. Fegefeuerängste und ähnliche Dinge dürfen wir da getrost hinter uns lassen. Denn mit Paulus und mit Martin Luther dürfen wir darauf ver­trauen, dass sich Jesus für uns ein­setzen wird.
Doch wir werden sicher nicht drum herum kommen, noch einmal unser Leben im Rückblick ansehen zu müssen. Jesus wird uns dabei nicht bloßstellen und uns fertig machen für all das Böse, das wir begangen haben oder all das Gute, das wir unterlassen haben.
Sondern Jesus wird mit uns diesen Rückblick tun wie ein guter, aber auch strenger Freund. Er wird sich mitfreuen über Erfolge und mitleiden bei allem Schweren, an das wir uns erinnern. Er wird uns manchmal bitten, noch einmal genauer hinzuschauen und immer wieder wird er uns kritisieren und die Augen öffnen, sicher auch tadeln, aber immer konstruktiv - so, wie es wahre gute Freunde eben­ tun.

Es steht jetzt in unserer Hand, worauf wir da einmal zurückblicken werden, wie angenehm dieser Rückblick sein wird, wie sehr wir uns einmal schämen müssen, wie nackt sozusagen wir dann dastehen werden.
Doch wir dürfen sicher sein, einmal wird dann alles gesagt sein. Und anders, als wir Menschen, wird Jesus nicht nachtragend sein. Wem verziehen und vergeben ist, dem bleibt verziehen und vergeben.

Und dann, nach diesem Rückblick, werden wir von Jesus in unsere ewige Heimat geführt werden, in ein festes Haus. Und wir werden einen neuen, unverweslichen Leib bekommen – und wir werden endgültig daheim sein und uns auch heimisch fühlen in unserem himmlischen Zuhause.

Amen.