Einmal im Jahr feiern viele Kirchengemeinden im Dekanat Neu-Ulm einen
Partnerschaftssonntag. Wechselweise werden Ideen für die Gestaltung des
Gottesdienstes aus unserem Partnerdekanat Asaroka in Papua-Neuguinea
oder von unserem Arbeitskreis Partnerschaft, Entwicklung und Mission im
Dekanat Neu-Ulm vorbereitet. Meist wird dieser Partnerschaftsgottesdienst am
Sonntag Rogate gefeiert – diesmal in Reutti eine Woche später.
In diesem Jahr kamen die Grundidee und Informationen aus unserem
Arbeitskreis, dazu konnte ich selbst Erlebnisse und Erfahrung von meiner Reise
nach Asaroka 2008 einbringen.
Einen gesegneten Sonntag Ihnen allen
Ihr Pfarrer Stefan Reichenbacher
Predigt zu 2. Kor 6,2 am Partnerschaftsgottesdienst 2020
Liebe Gemeinde,
Siehe, jetzt ist der Tag der Gnade,
siehe jetzt ist der Tag des Heils!
Dieser kurze, einprägsame Bibelvers soll über unserem diesjährigen
Partnerschaftsgottesdienst stehen.
Paulus sagt diese Worte im 2. Brief an die Korinther:
Siehe, jetzt ist der Tag der Gnade, siehe jetzt ist der Tag des Heils!
Und das soll heute an diesem dritten Sonntag, an dem wir mit vielen Auflagen
wieder Gottesdienst feiern dürfen, unser Motto für die Predigt sein?
Jetzt ist der Tag der Gnade und des Heils?
Jetzt, wenn die ganze Welt auf Kranke und Tote durch eine bisher unbekannten
Krankheit schaut?
Jetzt ist der Tag der Gnade und des Heils, wenn wir seit Wochen
Einschränkungen nie gekannten Ausmaßes, sogar in elementaren Grundrechten
hinnehmen müssen?
Jetzt ist der Tag der Gnade und des Heils, wenn wir hier mit Masken in der
Kirche dasitzen müssen – nicht wirklich aus frohem Herzen singen dürfen?
Nein, jetzt ist die Zeit der Krise und der Panik!
Jetzt ist die Zeit der Krankheit und der Angst vor der Krankheit!
Jetzt ist die Zeit der Kontaktbeschränkungen und Strafen bei Übertretung!
Jetzt ist die Zeit der Rezession und der Existenzvernichtungen!
So liegt es vielen auf der Zunge…
Hmmm…
Wie war das eigentlich damals bei Paulus?
Der 2. Korintherbrief wird in der Forschung als „Kampfbrief“ bezeichnet. Paulus
kämpft da – mit vielen klugen Worten und Argumenten: Er kämpft um das Herz
und den Glauben der Korinther, er kämpft gegen Irrlehren, denen sie dort
anhängen, er kämpft um seine Anerkennung als Apostel – und er erzählt von
ziemlich heftigen Erfahrungen und Erlebnissen als Missionar, als Diener Gottes.
Bedrängnisse, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnis – all das gehört zu seinem
Alltag und lässt ihn manchmal fast verzweifeln an seinem Auftrag und an den
Menschen.
Dennoch schreibt er: Jetzt ist der Tag des Heils!
Wir erleben Bedrängnisse und Nöte in nie gekanntem Ausmaß. Die meisten
Bürger halten zwar die Maßnahmen zur Infektionsabwehr für gut und sinnvoll –
aber richtig glücklich ist damit niemand. Wir sind lediglich froh über jede
Erleichterung und jeden Schritt zur Normalität zurück.
Was braucht es, damit auch wir mitten in dieser Krise sagen können: Jetzt ist
der Tag des Heils!?
Vielleicht hilft uns ein anderer Blick, eine andere Perspektive:
Nicht sagen: Das Glas ist halbleer, sondern sagen: Das Glas ist halbvoll. Nicht
immer nur auf das starren, was verboten ist oder zurzeit einfach nicht möglich
ist, sondern auf das, was möglich ist und was unser Leben auch in Corona-
Zeiten schön macht:
Viele Menschen waren noch nie so viel spazieren und wandern oder Radfahren
wie in den letzten Wochen. Natürlich war es für viele Familien, insbesondere
die Mütter eine oft belastende Zeit, Beruf, Kinder und Schulunterreicht alles
zuhause unter einen Hut zu kriegen – aber andererseits haben manche Väter
ihre eigenen Kinder viel mehr wahrgenommen, wahrnehmen müssen und
wahrnehmen können.
Und so sehr die Einsamkeit und die fehlenden Besuche von Kindern und Enkeln
den Älteren unter uns gefehlt haben, gerade sie haben sehr aufmerksam
wahrgenommen, dass es in den letzten Wochen viel leiser war, weil der Verkehr
gefehlt hat. Die Vögel waren viel besser zu hören.
Und natürlich ist es schrecklich, wenn viele Selbständige jetzt in Existenznöte
gekommen sind und manche Menschen plötzlich arbeitslos werden – in einer
Zeit, in der eigentlich nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Aber vielleicht gelingt
es tatsächlich den wirtschaftlichen Neustart etwas ökologischer zu gestalten.
Und vielleicht hilft es, wenn Firmen merken, dass es gut ist, wenn die
Komponenten ihrer Produkte nicht immer dort hergestellt werden, wo die
Arbeitslöhne am niedrigsten sind, sondern wieder mehr regional gedacht und
gewirtschaftet wird.
Das Glas ist halbvoll – jede Krise birgt auch Chancen!
Wir können das Gute erkennen, aber das soll und darf nicht bedeuten, vor dem
Negativem, vor dem Leid und der Angst der Menschen in dieser Krise die Augen
zu verschließen.
Auch Paulus tut das nicht. Aber er hat eine Botschaft. Und diese Botschaft ist
auch die unsere: Es ist die Botschaft, dass wir einen Gott haben, der durch sein
Leben, Sterben und Auferstehen gezeigt hat, dass er mitgeht. Er geht mit ins
Leid, in die Krise, sogar in den Tod. Und selbst im Sterben kann er einem
anderen Sterbenden sagen: Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein! So
erzählt der Evangelist Lukas aus dem Gespräch Jesu mit dem, der neben ihm
gekreuzigt wurde. Mitten in höchster Todesnot kann er zu dem Todgeweihten
sagen: Jetzt ist für dich der Tag der Gnade und des Heils!
Und der Angesprochene weiß und spürt: Jetzt in meiner Todesangst ist Gott da.
Jetzt ist mir Gott ganz nah, so nah wie irgend möglich. Und in diesem Moment
findet er zum Glauben und zu wahrem Gottvertrauen.
Es müssen und sollen natürlich nicht immer solche Extrem-Erfahrungen sein,
die uns diesen Glauben und dieses Vertrauen schenken. Es können auch viel
unscheinbarere Momente sein, die uns spüren lassen: Ja, jetzt ist Gott da. Jetzt
fühl ich mich von Gott angenommen, jetzt bin ich Gott dankbar für das Schöne,
dass er mir schenkt.
Von meiner Partnerschaftsreise nach Papua-Neuguinea ist mir in Erinnerung
geblieben, wie unmittelbar die Menschen dort ihren Glauben mit ihrem Leben
verbunden haben. Was immer Schönes passiert ist – sofort wurde Gott dafür
gedankt. Was immer Schwieriges bevorstand – Gott wurde zuvor um Beistand
gebeten.
Ich bin versucht zu sagen: Ich habe die Christen dort so erlebt, dass für sie
täglich galt: Jetzt ist der Tag des Heils!
Und nie wurde vergessen, uns bei unseren Besuchen in den Gemeinden mit
den Worten zu danken: „Ihr habt uns das Licht des Evangeliums gebracht! Dafür
sind wir euch Christen aus Bayern so dankbar!“
Die innere Befreiung von Schuld, aber auch von Angst vor Geistern, Zauberern
und fremden Menschen, die konnte nur die Botschaft von der Liebe eines
barmherzigen Gottes zu allen Menschen bringen. Sie brachte Heil in eine
unheilvolle Welt, wie sie dort vor der Zeit des Christentums herrschte und die
wir uns kaum vorstellen können. Wer nicht aus demselben Dort war und
denselben Dialekt sprach, war ein Feind. Und jede Krankheit, jeder Unfall, jedes
Leid wurde dem Nachbarn, dem Fremden aus dem Nachbardorf und seinen
Zauberern zugeschrieben. Und selbst vor den Geistern der eigenen Vorfahren
musste man sich in Acht nehmen. Kontakt hatten die Menschen mit ihren
Nachbarn fast nur, wenn sie gegeneinander kämpften oder sich gegenseitig die
Frauen raubten.
Siehe, jetzt ist der Tag der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
Die Botschaft des Paulus fand fruchtbaren Boden in Papua-Neuguinea. Auch
wenn mancher Aberglaube an Zauberei und böse Geister auch heute noch nicht
überwunden ist, so würden sich doch in Papua-Neuguinea nahezu alle
Menschen als Christen bezeichnen. Und alle diese Christen würden Beispiele
erzählen können, wann und was für sie Tage der Gnade und des Heils in ihrem
Leben waren: Eine Heilung von Krankheit, eine Versöhnung mit einem
Nachbarn, eine gute Ernte…
Siehe, jetzt ist der Tag der Gnade.
Siehe jetzt ist der Tag des Heils.
Amen.
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