Paulus als "Wahlkämpfer" - ein Mann mit einer Mission

Predigt zu Römer 10,9-17 am Wahlsonntag 2021

 

Liebe Gemeinde!

Früher war alles ganz einfach – zumindest in der katholischen Kirche: Da hat am Wahlsonntag der Pfarrer einen sog. Hirtenbrief verlesen, in dem mehr oder weniger deutlich dazu aufgerufen wurde, bei der Partei das Kreuzchen zu machen, bei der ein „C“ im Namen steht, denn das steht ja für christlich – und damit war das Thema „Wählen“ erledigt - so jedenfalls wurde mir glaubhaft von katholischen Christen berichtet...
Heute ist das etwas komplizierter und Evangelische denken sowieso traditionell eher kompliziert, weil sie immer versuchen, jedes Problem von allen Seiten zu betrachten.

Längst haben die Christen aller Konfessionen entdeckt, dass mehrere Parteien bestimmte christliche Werte und Glaubensinhalte umzusetzen versuchen und die Schnittmengen zwischen christlicher Ethik und Parteiprogrammen überraschend sein kann.
Wir müssen uns also selbst Gedanken machen zur Wahl. – Und ich sag´s Ihnen gleich: Das wird nicht einfach mit dem Predigttext von heute, aber vielleicht liefert er Ihnen dennoch eine Erkenntnis, die Sie heute am Wahltag brauchen können.

Das Evangelium des heutigen Sonntags hat den Kernsatz „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Eine tolle Verheißung.
Aber wie komme ich erst mal zu solch einem Glauben, der mir alles ermöglicht? Damit befasst sich Paulus im Brief an die Römer und daraus sind einige Verse unser Predigttext.

Paulus schreibt diesen Brief an die Römische Gemeinde und macht damit genaugenommen Kirchenpolitik. Paulus ist nämlich unbekannt in Rom, jedenfalls hat er die Gemeinde nicht gegründet und auch noch nie persönlich besucht.

Er möchte nun aber, dass die Gemeinde ihn aufnimmt und ihn bei seinem Vorhaben unterstützt, von Rom aus den westlichen Mittelmeerraum zu missionieren. Paulus möchte bis nach Spanien gelangen und von Jesus Christus erzählen. Von seiner bisherigen Basis Antiochia aus - das lag im heutigen Libanon – ist das zu weit. Rom ist da im wahrsten Sinne „naheliegender“ für diese Mission nach Westen.

Damit die Römer nun mitziehen bei seinem Vorhaben, muss er sie für sich gewinnen. Wie ein Politiker stellt er darum seine Grundsätze und seine Lehre, seinen Glauben und seine Botschaft in diesem Brief vor. Er ist der längste aller Paulusbriefe, denn Paulus macht das sehr ausführlich, um wirklich alle für sich zu gewinnen.
Viel weiß er nicht über diese römische Gemeinde, aber manches doch: Auf jeden Fall besteht sie aus Judenchristen und Heidenchristen – also aus Christen, die zuvor Juden waren und Christen, die zuvor keine Juden waren. Viele stammen von irgendwo aus dem römischen Reich und sind aus beruflichen Gründen nach Rom in die Hauptstadt gezogen und haben sich dort als bunt gemischte Gemeinde zusammengefunden.

In unserem kleinen Abschnitt heute befasst Paulus sich also mit der Frage: Wie komme ich zum Glauben – was sind die Voraussetzungen dafür? Und sehr geschickt begründet er, warum es ihn dazu braucht, warum die Römer sich für ihn entscheiden sollen!
Denn: Auch wenn wir zwar in diesem Brief von keinen anderen Kandidaten oder Kandidatinnen lesen – es gab durchaus viele Missionare und Propheten, auch Prophetinnen bei den frühen Christen, die für sich in Anspruch nahmen, zu wissen, welcher Weg für die Entwicklung des jungen Christentums der richtige sei. Paulus stand da in einem Konkurrenzkampf – nur konnte er sich am Ende durchsetzen, weshalb wir von den anderen kaum etwas Genaueres wissen. Aber es gab sie!

Ich lese aus dem 10. Kapitel des Römerbriefs:
9Wenn du also mit deinem Mund bekennst: »Jesus ist der Herr!« Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst: »Gott hat ihn von den Toten auferweckt!« Dann wirst du gerettet werden. 10Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt. 11So steht es ja in der Heiligen Schrift: »Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« 12Das gilt ohne Unterschied für Juden und Griechen. Alle haben ein und denselben Herrn. Und der lässt alle an seinem Reichtum teilhaben, die ihn anrufen. 13Denn es heißt ja auch: »Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.«
14Aber wie kann man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder wie kann man an jemandem glauben, von dem man nichts gehört hat? Und wie kann man von jemandem hören, wenn es keine Verkündigung von ihm gibt? 15Wie aber kann es eine Verkündigung geben, wenn niemand dazu ausgesandt wurde? – Gerade darüber steht ja in der Heiligen Schrift: »Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!«
16Aber nicht alle haben auf diese Gute Nachricht gehört. So fragt schon Jesaja: »Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?« 17Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft. Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag, den Christus gegeben hat.

Paulus wäre nicht Paulus, wenn er nicht Einfaches kompliziert ausdrücken könnte – so kommt es mir beim Lesen von Paulusbriefen oft vor. Aber das liegt wohl daran, dass Paulus sich und seine Aussagen immer nach allen Seiten absichern möchte. Er möchte vermeiden, dass ihn irgendjemand missversteht und alle möglichen Gedanken seiner Hörer und Hörerinnen von vornherein mit in seine Überlegungen mit einbeziehen. Aus diesem Grund wirkt der zweite Teil dieses Briefabschnitts vielleicht etwas unübersichtlich.

Der erste Teil scheint klar und ist eine wunderbare Botschaft mindestens mal für Sie alle, die Sie Kirchgänger sind und den Sonntagsgottesdienst besuchen:
Paulus sagt hier in etwa: Wer in den Gottesdienst kommt und beim gemein­samen Singen und Beten und ganz konkret im Glaubens­bekenntnis spricht: „Ich glaube an Jesus Christus, unseren Herrn,…“ usw. und das auch wirklich aus vollem Herzen glaubt, der oder die ist gerettet! Wer das wirklich glaubt, darf sich auf das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott freuen. Das gilt für alle Menschen, ganz gleich, wie sie zum Glauben gekommen sind – ob schon als Kind getauft und im christlichen Glauben erzogen und da hineingewachsen oder erst später als Erwachsene*r irgendwie durch eine besondere Erfahrung zum Glauben gekommen. Für alle gilt, was schon im Alten Testament steht: Wer den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden! So hatte es der Prophet Jesaja einst verkündet.

Paulus denkt nun aber weiter und schreibt: Um aber den Herrn anrufen zu können, um also zum Herrn beten zu können, muss ich an diesen Herrn natürlich glauben! Wenn ich aber an diesen Herrn nicht glaube oder von diesem Herrn noch nie gehört habe, vielleicht gar keine Chance habe, von ihm zu hören, weil niemand da ist, der von diesem Herrn erzählt und predigt – was dann?

Dieser „Herr“ aus dem Alten Testament ist für Paulus ganz klar Jesus Christus. Das ist so eine stillschweigende Voraussetzung für ihn, die er machen kann, weil er ja an die römischen Christen schreibt, die ja auf jeden Fall auch Jesus als ihren Herrn bekennen.

Aber Paulus sieht hier ein zweifaches Problem:
Er sieht einmal sein Volk, die Juden, die zwar von Jesus gehört haben, aber zu weiten Teilen nicht an ihn glauben und die Christen für eine Sekte halten, die bekämpft werden muss.
Und auf der anderen Seite sieht er die Heiden, die Nichtjuden, von ihm meist als sog. Griechen bezeichnet, die noch nie irgendetwas von Jesus gehört haben und deshalb bisher gar keine Chance hatten, zum Glauben zu kommen.
Die einen also beten nicht zu Jesus, weil sie ihn nicht für den „Herrn“ halten und die anderen können nicht zu ihm beten, weil sie von ihm noch nie gehört haben.

Für diese beiden Gruppen, die Juden wie die Heiden hat Paulus nun noch einmal zwei Bibelstellen parat. Diesmal beginnt er mit einer für die Heiden, die sog. Griechen. Er zitiert aus Psalm 19: »Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!« Das Gute ist für Paulus natürlich die Frohe Botschaft vom Kommen des Sohnes Gottes in die Welt, von seinem Tod und seiner Auferstehung.
Natürlich spricht Paulus da ganz geschickt von sich selbst. Er sieht sich als Freudenbote für die Römer und für alle, denen er im westlichen Mittelmeerraum von Jesus predigen will – da müssten die Römer ihn doch eigentlich willkommen heißen wie es im Psalm steht!

Falls die Römer nun aber fragen sollten: Wieso kümmerst du dich um die Heiden, wenn noch nicht mal alle Juden an diesen unseren Herrn glauben? hat Paulus noch ein weiteres Zitat parat, nochmal Jesaja, diesmal im Blick auf die Juden. Jesaja fragte einst frustriert: »Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?«
Auch in diesen Worten sieht sich Paulus – eben als einer, der zwar verkündigt hat, aber eben vergeblich unter seinesgleichen.

Die Römer müssten also verstehen, dass es aus Sicht des Paulus doch mehr Sinn macht, dort zu verkündigen, wo die Botschaft des Evangeliums auf fruchtbareren Boden fällt, nämlich bei den Heiden, den Nichtjuden.

Zuletzt schließt Paulus seine Überlegungen zum Verkündigung unter den Heiden und unter den Juden mit folgendem Satz ab: Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft. Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag, den Christus gegeben hat.

Der Auftrag, den Paulus da meint, ist wiederum der Auftrag, den wir alle aus dem sog. Taufbefehl bei Matthäus kennen: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch geboten habe…
Und damit liefert Paulus eine letzte Begründung, dass die Römer eigentlich gar nicht anders können als ihn aufzunehmen, sich von ihm das Evangelium verkündigen zu lassen und ihn zu unterstützen bei seiner Absicht, nach Westen vorzudringen und auch dort zu missionieren.
Im Idealfall nämlich weckt seine Predigt dann den Glauben an Jesus Christus und dann gilt, was wir im Evangelium gehört haben: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt – eben durch den Glauben, den Menschen wie Paulus durch ihre Predigt zu den Menschen gebracht haben.

Soweit also die Kandidatur des Paulus in Rom mit dem damaligen Kommunikationsmittel Brief. Überzeugend würde ich sagen und sehr geschickt eingefädelt!

Wenn wir nun wieder auf unsere Bundestagswahl schauen, dann gibt es natürlich heute einen fundamentalen Unterschied zu diesem antiken Wahlkampf.
Heute haben wir eine Unmenge von Problemen vor uns, die einer Lösung bedürfen. Und wir haben wir haben drei Personen, die als Kanzlerin oder Kanzler versprechen, diese Probleme anzugehen oder gar zu lösen.
Paulus hingegen musste erst mal das Problembewusstsein schaffen. Er musste den Römern erklären, dass es nicht reicht, dass sie den Glauben an den Herrn haben, sondern dass alle Menschen ein Recht auf diesen Glauben haben – unabhängig von ihrer Nation, Herkunft oder bisherigen Religion.

Auf heute übertragen ist Paulus einer, der für die ganze Welt denkt, einer, der sagt: Das, worum es mir geht, ist so wichtig, dass es alle betrifft: Alle sollen gerettet werden. Alle sollen keine Angst mehr haben vor Gott und vor dem Tod – denn dazu ist Jesus Christus gestorben und auferstanden.

Wenn wir in diesem Wahlkampf nach einer solchen Botschaft suchen, die wirklich alle Menschen betrifft, uns Deutsche wie auch alle anderen Völker, dann werden wir wohl nicht darum herumkommen, uns mit dem Weltklima, mit der Weltwirtschaft und mit Frieden und Gerechtigkeit weltweit zu befassen.
Und wir können uns heute von einem antiken Paulus durchaus sagen lassen, dass es uns nicht egal sein darf, wie es den Menschen außerhalb Deutschlands geht – und die Probleme, die wir dort nicht lösen, fallen früher oder später sowieso auf uns zurück.

Paulus ging es um den Glauben an Jesus Christus. Dieser Glaube macht etwas mit dem Menschen. Er führt zu einer inneren Haltung, die von diesem Glauben bestimmt ist. Diese innere Haltung wiederum führt zu politischem Denken und Handeln. Christen in aller Welt beeinflussen heute das Denken und Handeln von Politikern und Politikerinnen – aber tun sie das im Sinne des Paulus und im Sinne des Evangeliums? Sehen sie die Not der gesamten Menschheit?

Paulus hatte eine klare „Mission“ vor Augen – eben die Missionierung der Menschen. Solche „Missionen“ können heutzutage auch andere Dinge sein. Für mich sind Politiker*innen dann glaubhaft, wenn sie eine solche „Mission“ verkörpern, wenn ich ihnen abspüren kann, dass sie für eine Sache stehen, sich für ihre Mission einsetzen und alles dafür geben wollen. Und natürlich muss mich der Inhalt, das Ziel ihrer Mission überzeugen. Dann kann ich mitgehen, kann ich mich mit einsetzen, vielleicht sogar für diese Mission mitkämpfen – ganz unabhängig von den Personen, die dafür stehen und irgendwann auch wechseln.

Paulus hat das damals geschafft. Zwar kam er unter ganz anderen Umständen nach Rom als geplant – nämlich als Gefangener der römischen Behörden. Aber die Römer nahmen ihn dennoch auf – sie besuchten ihn regelmäßig im Gefängnis und konnten von ihm hören und lernen. Und seine Botschaft wurde zwar nicht von ihm, aber von anderen bis nach Spanien und noch viel weiter getragen.

Mission also nicht wie geplant, aber erfolgreich abgeschlossen - Mission erfüllt.

Amen.