Predigt „Martha ins Licht gerückt“ von Pfr. Stefan Reichenbacher

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie die böse schwäbische Scherzfrage:

Mit welchem Kompliment kann man eine schwäbische Hausfrau besonders glücklich machen?

Antwort: Wenn man ihr sagt: „Mei, siehsch du aber abgschafft aus!"

 

Böser Witz, politisch nicht korrekt, … 

Aber diese böse Scherzfrage fällt mir immer im ersten Moment ein, wenn ich an Martha denke. Martha ist im Bewusstsein vieler Christen und bibelkundiger Menschen solch eine – natürlich überzeichnete – schwäbischeHausfrau: Immer geschäftig, immer fleißig – und dazu kritisch gegenüber solchen, die nicht so fleißig zu sein scheinen. 

Verantwortlich für dieses Bild der Martha ist ein gewisser Lukas, der Evangelist.

 

Er erzählt von einer Begebenheit im Haus der Martha, die offenbar die Älteste von mindestens drei Geschwisternist, die da zusammenleben. 

Ich lese die Erzählung des Lukas:

Als sie aber weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf.

Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.

Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria;

die setzte sich dem Herrn zu Füßen 

und hörte seiner Rede zu.

Marta aber machte sich viel zu schaffen,

ihnen zu dienen.

Und sie trat hinzu und sprach:

Herr, fragst du nicht danach, 

dass mich meine Schwester lässt allein dienen?

Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!

Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr:

Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.

Eins aber ist not.

Maria hat das gute Teil erwählt;

das soll nicht von ihr genommen werden.

 

Also Marta, die Gschaftlhuberin, Maria die Faule,

Marta, die Aktive, Maria, die Passive,

Marta die Anklagende, Maria die Schweigsame.

Jesus merkt, dass Marta Maria kritisiert, obwohl Maria nichts Unrechtes tut. Ja, im Gegenteil, Maria tut das, was jetzt „dran“ ist: Zuhören auf das Wort des Herrn. 

Und deshalb Jesus nimmt Maria in Schutz gegen die Vorwürfe von Marta.

Das heißt aber nicht, dass Jesus kritisiert hätte, dass Marta sich ums Essen kümmert. Jesus hat davon gelebt, dass er und seine Freunde eingeladen wurden, verköstigt wurden – und sicher in der Regel kostenlos! Und Jesus hat gutes Essen zu schätzen gewusst. Sonst hätten ihn seine Gegner nicht als Fresser und Weinsäufer beschimpft.

 

Nein, Jesus kritisiert Marthas Kritik an Maria.

Martha verhält sich so wie eine Frau sich in der damaligen Zeit zu verhalten hat – und sich bis heute in der Regel verhält. 

Wenn Gäste kommen, dann kann ein Mann sich in der Regel problemlos mit ihnen erst mal unterhalten – eine Frau wird wahrscheinlich aber sofort was zu trinken anbieten und sich dann ums Essen kümmern. Mindestens bei den Älteren unter Ihnen dürfte das bis heute noch so rollenspezifisch aufgeteilt sein.

Wenn ich einen Geburtstagsbesuch mache – und nicht gerade Kontaktverbote herrschen – und ein Mann hat Geburtstag, dann setze ich mit dem Mann hin und unterhalte mich mit ihm. Die Frau holt derweil was zu trinken und eine Kleinigkeit oder Kuchen aus der Küche. Hat die Frau Geburtstag, dann --- setzt sich auch der Mann mit mir hin und unterhält sich mit mir, während die Frau in die Küche geht.

 

Im Gedächtnis der Kirche jedenfalls blieb Martha die schwäbische Hausfrau. Wenn Sie in der Kunst dargestellt wurde, hat sie meist einen großen Kochlöffel  oder eine Schöpfkelle in der Hand. Und obwohl sie sich damit genauso verhält wie es sich die Männer wünschen, kommt sie schlecht weg!

Doch Jesus hat´s nicht so mit vorgegebenen Rollen. Er bricht die traditionellen Rollen und das traditionelle Denkengerne auf. Schon allein sein Umgang mit Frauen, die er gleich behandelte wie Männer, war eigentlich ein Skandal. Und ebenso möchte er Martha klar machen, dass sie Maria nicht in die klassische Frauenrolle hineindrängen soll, aus der sie selbst offenbar nicht herauskommt. Wer weiß, ob Martha nicht auch die Sehnsucht danach hatte, sich ganz auf Jesus zu konzentrieren und nicht die klassische Gastgeberinnenrolle zu erfüllen. 

Wenn Martha nun aber meint, ihre klassische Frauenrolle dennoch erfüllen zu müssen, dann soll sie das zumindest nicht auch von ihrer Schwester einfordern.

 

Und noch ein zweites kommt dazu:

So sehr sich Jesus bestimmt auf das anschließende Essen bei Marta freut, so sehr möchte er doch zuerst einmal selbst der Dienende sein, der, der durch sein Wort den Menschen Gott nahe bringt, der ihnen die Tür zum Himmel öffnet. Das soll Martha erst einmal annehmen, bevor sie sich darum kümmert, wie sie Jesus dienen kann.

Das ist natürlich eine Botschaft von größter Tragweite auch für uns: Wir sollen wie Maria erst einmal zuhören, uns ganz auf das einlassen, was Gott, was Jesus uns sagen will. Und dann können wir aktiv werden, können wir überlegen, wie wir anderen Menschen Gutes tun können und nicht umgekehrt.

Weil Gott uns freundlich anspricht, können und sollen wir diese Freundlichkeit an andere Menschen weitergeben – nicht umgekehrt. Weil Gott für uns sorgt, können wir für andere sorgen. 

 

Und schließlich: Dieses Sorgen für andere und auch für mich darf nicht zum Ersatz dafür werden, dass Gott für uns sorgt. Das fällt mir beim Umgang mit Corona auf: Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir uns so viele Sorgen machen und so viel an vermeintlicher Sicherheit produzieren wollen, als gäbe es Gott nicht und als hätten wir keinerlei Gottvertrauen… 

 

Soweit also nun das klassische, durch Lukas geprägte Bild der Martha, die vor lauter Aktionismus das Hören auf Jesu Wort versäumt und die vor lauter Sorgen für andere vergisst, dass Jesus ja eigentlich für sie sorgen möchte und ihr dienen möchte.

 

Aber wir haben ja als Thema unserer Predigtreihe „Frauen ins Licht gerückt“ und ich möchte es noch zuspitzen und formulieren: „Martha, ins rechte Licht gerückt“! Denn es gibt noch eine andere Erzählung mit Martha als Hauptperson.

 

Doch bevor wir über diese nachdenken, machen wir es wie Maria und hören erst mal ein bisschen zu…

 

Orgelmusik

 

Es gibt also noch eine andere Geschichte, in der Martha vorkommt. Zu Unrecht ist sie weniger bekannt. Hier geht es vordergründig um den Bruder der beiden, Lazarus: Der starb nach offenbar kurzer schwerer Krankheit. Aber in Wahrheit geht es um Martha. Sie ist wieder die Aktive in scheinbar aussichtsloser Situation, ihre Schwester Maria dagegen ist ganz von ihrem Schmerz über den toten Bruder gefangen.

 

Ich lese aus Johannes 11, diesmal aus der BasisBibel:

Als Jesus nach Betanien kam,

lag Lazarus schon vier Tage im Grab. …

Als Marta hörte, dass Jesus kam,

ging sie ihm entgegen.

Aber Maria blieb im Haus.

Marta sagte zu Jesus: 

Herr, wenn du hier gewesen wärst,

hätte mein Bruder nicht sterben müssen.

Aber auch jetzt weiß ich:

Alles, worum du Gott bittest, das wird er dir geben.

Jesus antwortete ihr: 

Dein Bruder wird vom Tod auferstehen!

Marta erwiderte:

Ich weiß, dass er auferstehen wird – 

bei der Auferstehung der Toten am letzten Tag.

Da sagte Jesus zu ihr:

Ich bin die Auferstehung und das Leben!

Wer an mich glaubt, wird leben, 

auch wenn er stirbt.

Und wer lebt und an mich glaubt,

wird niemals sterben – in Ewigkeit nicht.

Glaubst du das?

Sie antwortete:

Ja, Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in diese Welt kommen soll!

 

Dieselbe Martha mit einem ähnlichen Charakterzug, aber einer gänzlich anderen Wendung im Gespräch mit Jesus.

Sie hört, dass Jesus kommt. Anders als ihre Schwester Maria vergräbt sie sich aber nicht in ihrer Trauer im Haus, sondern geht hinaus. Sie wird aktiv, sie ergreift die Chance, die eigentlich keine mehr ist, denn Lazarus war bereits gestorben und schon seit vier Tagen tot.

Die Schwestern hatten nach Jesus geschickt und Jesus hatte auch die Nachricht erhalten, dass Lazarus schwer erkrankt war. Aber Jesus war nicht gekommen. Bestimmt hatten die Schwestern gehofft, Jesus könne ihren Bruder gesund machen… 

Doch jetzt war alles zu spät. Martha geht Jesus entgegen. Sie verkneift sich aber jegliche Vorwürfe über sein Zuspätkommen, sondern stellt lediglich fest: Wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben. – Schon dieser Satz allein ist ein unglaublicher Vertrauens- und Glaubensbeweis Jesus gegenüber!

 

Aber damit belässt Martha es nicht. Sie fügt hinzu: Aber auch jetzt weiß ich: Alles worum du Gott bitten wirst, das wird er dir geben…

Schwingt da noch eine ganz kleine Hoffnung mit, Jesus könne den Tod des Lazarus rückgängig machen?

Auf jeden Fall aber ist das der nächste Beweis für ein übergroßes Vertrauen zu Jesus, wie es im Neuen Testament kaum ein zweites Mal überliefert ist! 

 

Und Jesus antwortet: Dein Bruder wird auferstehen!

Ja, das ist auch die Hoffnung der Martha. Das ist ihr Trost, dass ihr Bruder auferstehen wird zum ewigen Leben am letzten Tag, am Jüngsten Tag.

Doch diese Hoffnung meint Jesus nicht. Er meint die tatsächliche Auferstehung ins diesseitige Leben. Lazarus wird wieder lebendig werden. Doch dies bereits an dieser Stelle anzukündigen, wäre zu ungeheuerlich, selbst für die glaubensstarke Martha. 

Und deshalb bereitet Jesus sie auf das Wunder vor mit einem seiner berühmten „Ich bin – Worte“.

Ich bin die Auferstehung und das Leben!

Wer an mich glaubt, wird leben, 

auch wenn er stirbt.

Und wer lebt und an mich glaubt,

wird niemals sterben – in Ewigkeit nicht.

Jesus sagt damit nichts weniger, als dass unsere Vorstellungen von Leben und Tod im Glauben an ihn nicht mehr gelten. So wie traditionelle Rollenbilder bei ihm keinen Bestand haben, so haben auch gewohnte Vorstellungen von Leben und Tod bei ihm keinen Bestand:

Wer tot ist, wird leben – durch den Glauben. Und wer lebt und glaubt, wird niemals wirklich ganz und gar sterben. Er geht in eine andere Wirklichkeit hinüber, ins Jenseits, aber er wird nicht aufhören zu leben!

 

Für uns Christen sind diese Worte vertraut. Eine christliche Bestattung ohne die Trostworte Jesu aus dem Johannesevangelium ist fast nicht denkbar. 

Damals waren solche Gedanken umstritten: Die Pharisäer, die frommen Laien, die Hobbytheologen, glaubten an die Auferstehung wie Jesus sie verkündete und standen ihm auch deshalb sehr nahe. Die Priester, die studiertenTheologen jedoch glaubten nicht daran und beschäftigten sich anfangs weit weniger mit seiner Botschaft.

Bei uns heute hat sich der Glaube an ein Weiterleben der Seele oder einer Geistseele nach dem Tod durchgesetzt. Kaum jemand behauptet ernsthaft, dass mit dem irdischen Tod alles aus ist. Auch viele Nichtchristen sind davon überzeugt, dass da noch was kommt.

 

Seltsam, dass wir nun gerade aber in einer Zeit leben, in der mit einer Inbrunst gegen das Sterben gekämpft wird wie nie zuvor. Damit will ich um Gottes willen nicht sagen, dass wir nicht alles dafür tun sollen, um die Ausbreitung von Covid 19 einzudämmen.

Aber niemals war das Handeln von Politikern so beseelt davon, das Sterben zu verhindern, selbst von Hochbetagten. Sterben soll nach Meinung der meisten Politiker unter allen Umständen verhindert werden – und dafür hat die gesamte Bevölkerung massive Opfer zu bringen. 

Was ist das für eine Handlungsmaxime? Ist sie gut? Ist sie sinnvoll? Wenn ja, warum wird sie dann nur bei Covid19 angewandt? 

 

Was war bei den Kriegen in der Vergangenheit? Bei jedem Krieg wird selbstverständlich mit dem Sterben vieler gerechnet, dem Sterben der Soldaten, aber oft wird auch das Sterben der Zivilbevölkerung fast selbstverständlich in Kauf genommen. Heutzutage gehört Deutschland zu den größten Waffenherstellern und –exporteuren. Waffen haben nun mal das Ziel, im Ernstfall Menschen den Tod zu bringen. Aber das kümmert kaum jemanden.

Oder nehmen wir den Klimawandel. Es wird nahezu selbstverständlich in Kauf genommen, dass Millionen von Menschen in der Südsee ihre Heimat verlieren und zum Teil auch sterben werden, weil der Meeresspiegel unaufhaltsam steigt. Bringen wir dafür auch Opfer, um das zu verhindern?

Oder die Grippewelle vor drei Jahren. Da hat man den Kassenpatienten einen weniger universellen Impfstoff verabreicht als den Privatpatienten, ich nehme an aus Kostengründen. 25000 Menschen sind in Deutschland an der Grippe gestorben, aber das hat kaum jemand interessiert.

Es ist schon bemerkenswert, wie wir bei Covid 19 in einer Weise gegen den Tod ankämpfen wie wir es sonst nie tun bzw. in der Vergangenheit nie getan haben.

 

Und nun hören wir noch von einem Gespräch zwischen Jesus und Martha, aus dem wir lernen könnten, dass wir beim Thema Tod als Christen gelassener sein können als Menschen ohne einen Glauben. Aber sind wir es? Sind wir gelassener als andere beim Thema Tod?

Anders gefragt: Glauben wir, das Gott unser Leben in der Hand hält? Und dass Covid 19 wie jede andere Krankheit von Gott abgewendet werden kann oder aber ihm auch zum Werkzeug dienen kann, einen Menschen sterben zu lassen?

Ich weiß, ich mute Ihnen da viele ungewohnte Gedanken zu – aber ich meine, sie fehlen in der aktuellen Diskussion und wären ein angemessener Beitrag der Kirche. 

 

Doch zurück zu Martha und Jesus.

Nach seinem berühmten Ich bin – Wort und der Zusage, dass niemand, der an ihn glaubt in Ewigkeit sterben könne, fragt Jesus: Glaubst du das?

Und Martha antwortet: Ja, Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in diese Welt kommen soll!

Eine angemessenere, eine bessere, eine gläubigere, eine vertrauensvollere Antwort kann man nicht geben als diese!

Im Johannesevangelium ist es Martha, die als erste erkennt, wer Jesus ist, und die ein Christusbekenntnis in Worte fasst. 

 

Nicht auszudenken, wie anders sich die Kirche entwickelt hätte, wenn das Johannesevangelium das maßgebliche für die Entwicklung der Kirche geworden wäre. Leider war es aber von Anfang an das Evangelium der kleinen Gruppen am Rande des Mainstreams in der Kirche. 

Stattdessen wurde das Matthäusevangelium für die Großkirche das entscheidende. Und da findet sich nicht das Bekenntnis der Martha, sondern das des Petrus, welches von der späteren Kirche besonders hervorgehoben wurde. Petrus bekannte einfach nur: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! (Matthäus 16,16)

Da war Martha schon etwas eloquenter.

Trotzdem. Zu ihr sagte Jesus nicht: Du bist Petra, auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen…

Schade.

Wie anders hätte sich die Kirche wohl entwickelt, wenn Martha mehr im Zentrum der Glaubenstradition der Kirche gestanden hätte. 

Es wäre dann sicher nicht zu so einer extremen Unterdrückung der Frau in der Kirche gekommen, mit der die katholische Kirche noch heute zu kämpfen hat und die wir in der evangelischen Kirche auch gerade mal erst 50 Jahre hinter uns gelassen haben!

Und höchstwahrscheinlich wäre sie dann auch mehr eine dienende Kirche geworden – ein Merkmal, um das sich ja der aktuelle Papst erfreulicherweise sehr bemüht: Er möchte so eine dienende, sorgende Kirche, die aus dem Vertrauen zu Gott heraus redet und handelt… Er ist ein Stück weit auf der Spur der Martha!

 

So aber ist dieses Bekenntnis der Martha, dieses große und vorbildliche Vertrauen der Martha zu Jesus nur eine Episode am Rande geblieben. Heute aber haben wir sie ins Licht gerückt – und ich meine ins „rechte“ Licht gerückt.

 

Und so steht bei mir nun neben dem Bild der fleißigen und fürsorglichen, aber auch mal schimpfenden schwäbischen Hausfrau nun ein anderes Bild; das Bild einer couragierten, glaubensstarken und aktiven Frau, die ihre Chance ergreift, auch wenn sie noch so gering scheint. Die auf Jesus alle Hoffnung setzt und ihm und seinen Verheißungen traut. 

 

Und da können selbst Tote wieder lebendig werden – denn nach diesem Gespräch erweckt Jesus Lazarus zum Leben und zeigt, dass unsere Vorstellungen von Sterben und Tod nicht die Seinen sind und dass er der Herr über Leben und Tod ist.

​​​​​​Amen.