Liebe Gemeinde!
Schauen wir noch einmal auf den Erntealtar! Eigentlich ist es ein Wunder. Ein Wunder, wie aus etwas so Kleinem, wie einem Samenkorn, etwas so Wunderbares wie diese Früchte hier wachsen kann!
Es vergeht natürlich einige Zeit, bis die Früchte ausgewachsen und reif sind, es kostet Arbeit, die Pflanzen zu pflegen, sie brauchen Sonne und Regen, aber irgendwann, wenn alles gut geht, können wir sie ernten und sie dienen uns zur Nahrung. Zumindest in unseren Breiten funktioniert das meist sehr gut und wir werden alle satt.
Hunger müssen wir also nicht zu leiden. Vielleicht mal eine Weile, wenn es etwas dauert mit dem Essen, oder wir grade noch unterwegs sind.
Was wirklicher Hunger ist, habe ich persönlich nie erlebt, ich weiß davon nur aus Erzählungen meiner Eltern und Großeltern über den Krieg. Ständiger Hunger, ahne ich, muss ein schreckliches Gefühl sein. Wer nicht in der Lage ist, seinen Hunger zu stillen, nimmt auf lange Sicht
Schaden, Schaden an seiner Gesundheit und an seinem Leben.
Davon handelt auch unser heutiger Predigttext
Ich lese aus Markus 8, 1-9
Liebe Gemeinde,
1
Wundersame Speisungen – kein Erzählstoff kommt in der Bibel häufiger vor: Das wandernde Gottesvolk Israel machte in der Wüste die wunderbare Erfahrung, dass Gott beständig für es sorgte und es keine Angst zu haben brauchte umzukommen. Es fand unter Moses Führung immer wieder rechtzeitig Manna, Wachteln fielen vom Himmel und Felsspalten mit sprudelndem frischem Wasser öffneten sich. Auch von den Propheten Elia und Elisa werden solche Geschichten erzählt.
Nichts aber kommt dem gleich, was wir hier von Jesus hören: Die Geschichte, dass er auf wundersame Weise eine vieltausendköpfige Menge mit nur wenigen Broten und einigen Fischen satt gemacht habe, erscheint noch weitere fünf Mal im Neuen Testament. Es war die faszinierende Erfahrung aller Menschen, die mit Jesus zu tun hatten, dass sie auf wundersame Weise satt wurden. Das ist das Erste, das in dieser Geschichte zum Ausdruck kommt. Das große Anliegen Jesu ist es, die Menschen nicht in ihrem Hunger alleine zu lassen. Wie immer dieser Hunger auch aussah!
2
So viele Menschen um uns herum haben Hunger! So viele Menschen hungern nach Nahrung für Leib und Seele. Ob es nun viertausend waren oder – wie in anderen Geschichten erzählt wird – fünftausend, spielt keine Rolle. Das ist nur ein Bild dafür, dass die Zahl der Menschen um uns herum, die Hunger leiden, unermesslich groß ist. Es sind Tausende, jedenfalls viel mehr als wir oft ahnen.
Jesus sieht den Hunger der Menschen, die um ihn herum sind. Drei Tage waren sie nun schon bei ihm, haben seinen Worten gelauscht, wohltuende Gemeinschaft erfahren, tiefe Gottesnähe erlebt. Aber nicht nur die Seele, auch der Leib verlangt nach seinem Recht. Jesus weiß das, womöglich ehe die Menschen ihren Hunger selber spüren. Sie tun ihm leid; deswegen sagt er zu seinen Jüngern: „„Mich jammert das Volk; denn sie haben nichts zu essen, wir können sie jetzt nicht einfach so ohne Mahlzeit nach Hause schicken, sie würden sonst unterwegs verschmachten.“
Hungrige sättigen, und zwar in umfassendem Sinne – das war der Auftrag, den Jesus in seinem Leben erfüllte.
Es gibt Menschen, deren Leib völlig gesättigt, aber deren Seele ausgehungert ist, die keinen Sinn in ihrem Leben finden können. Das ist nicht gut. Genauso wenig gut ist aber das Umgekehrte: Unzählige Menschen auf dieser Welt brauchen dringend Wasser und Brot, weil sie schwach und ausgezehrt sind und gar nicht offen sein können für Gottes Wort.
Seelsorge und Sorge für die körperlichen Bedürfnisse gehören untrennbar zusammen sagt Jesus.
3
„Aber wie soll das denn gehen hier in der Einöde?“ fragen die Jünger – und das ist mein zweiter Punkt in dieser Geschichte. Ihre Hilf- und Ratlosigkeit ist mit Händen zu greifen. Wie soll das gehen? Es ist nichts da. Es ist spannend zu sehen, wie Jesus mit dieser Situation umgeht. Er sieht nicht auf das, was nicht da ist, sondern fragt: „Schaut doch mal nach, was da ist? Wie viele Brote habt ihr?“ Da stellt sich heraus: Es stimmt nicht, dass gar nichts da ist. Sieben Brote finden sich, und einige Fische sind auch noch da. Das ist mehr als nichts. Doch andererseits, so denken wir: Was ist das schon angesichts einer solch riesigen hungernden Menschenmenge? Ein Tropfen auf den heißen Stein … Es lohnt sich erst gar nicht, damit anzufangen
So geht es vielen von uns: angesichts der Not und der zu lösenden Probleme dieser Welt, resignieren viele und geben von vornherein auf. Was soll ein einzelner schon tun?
„Tu es nicht!“ erzählt uns die Geschichte von der wundersamen Speisung. Gib nicht auf! Schaue niemals nur auf dich und sage: „Wie soll das denn gehen? Was kann ich denn schon ausrichten?“, schaue vielmehr auf Jesus und frage: „Was ist da?“ und fange an, das was da ist auszuteilen.
4
Ein schönes Beispiel hierfür ist die Geschichte von Henry Dunant Er lebte im 19. Jahrh., war ein Schweizer Geschäftsmann und überzeugter Christ. Vor 161 Jahren (1859) – er war damals dreißig Jahre alt – wurde er während einer Geschäftsreise zufällig Zeuge der Schlacht von Solferino, wo das österreichische Heer unter Kaiser Franz I. gegen das Heer Napoleons III. von Frankreich kämpfte.
300.000 Mann standen sich gegenüber. Es ging um die Herrschaft in Oberitalien. So wichtig dieser Krieg damals sicher genommen wurde, so sinnlos war er – wie alle Kriege davor und danach. Das Ergebnis, Tausende von Toten und 38.000 Verwundete lagen auf dem Schlachtfeld. Henry Dunant sah junge Männer schwer verletzt da liegen und hörte, wie sie schrien. Er organisierte einen Hilfsdienst aus Freiwilligen. Viele halfen, – vor allem Frauen meldeten sich –, aber das medizinische Fachwissen fehlte natürlich. Das war für Dunant das Schlüsselerlebnis zur Gründung einer Vereinigung, aus der später das Rote Kreuz entstand. Dunant ließ sich durch das Elend und die Größe der Aufgabe nicht lähmen, er sagte nicht: „Was kann ich als Einzelner denn schon tun?“
Was er an finanziellen Mitteln besaß, war auch nicht mehr als die sieben Brote damals bei Jesus in der Wüste. Aber er ergriff die Initiative – und wenn man Menschen in der ganzen Welt heute nach dem Roten Kreuz fragt, wissen neun von zehn, was damit gemeint ist. Unzählige haben schon von seiner segensreichen Arbeit profitiert.
Frage niemals „Wie soll das gehen? Was kann ich schon ausrichten?“, sondern stelle immer ruhig und gelassen die Jesus-Frage „Was ist da?“ Fange an, das, was da ist, einzusetzen und zu verteilen – und Gott wird für das Wunder sorgen.
Und was hätte aus Dunant werden können, hätten sich nicht viele auf seinen Aufruf zu helfen gemeldet?!
Es gilt Augen und Ohren offen zu halten, wo Hilfe nötig ist und ein Herz und Hände zu haben, die bereit sind zu helfen und zu geben.
5
Das ist der nächste Punkt, den wir aus der Geschichte der wunderbaren Brotvermehrung lernen können. Es ist eine Gegengeschichte zur weitverbreiteten menschlichen Angst, zu kurz zu kommen. Wir wissen alle, dass es Brot nicht in unbegrenzten Mengen gibt. Mancherorts ist es äußerst knapp. Leicht wächst da die Angst, dass das wenige Brot nicht genügt, um alle zu sättigen. Diese Angst ist menschlich. Von dieser Angst ist es nicht weit zu einer lebensfeindlichen Haltung, die meint, nur dann sei ausreichend für mich da, wenn ich anderen nichts abgebe, oder ihnen gar etwas von ihrem Brot wegnehme.
Wir haben uns heute vor dem Erntealtar versammelt, um Gott für die Fülle seiner Gaben zu danken.
Leider müssen wir heutzutage schmerzlich erkennen, dass unsere, also die Lebensweise der Industriestaaten dazu beiträgt, dass viele andere hungern müssen.
Es ist die Angst, nicht genug zu bekommen, die Gier nach immer mehr, die Menschen dazu treibt, viel zu viel für sich zu nehmen, ja, unseren Planeten zu plündern, sodass unsere Kinder mittlerweile in der Furcht aufwachsen müssen, dass ihre Existenz auf dieser Erde bedroht ist.
Viele junge Menschen haben extreme Zukunftsängste und das ist nicht ganz unbegründet, wenn wir der Ausbeutung der Erde nicht ein Ende setzen.
Von Jesus können wir lernen. Wir leben in der Geborgenheit und der Liebe Gottes und es ist genug da für alle. Das wissen wir alle. Wir brauchen nicht unser Existenzminimum anzutasten, aber wir sind aufgefordert von unserem Überfluss abzugeben.
Wer wie Jesus in tiefem Gottvertrauen lebt, muss nicht ängstlich in die Zukunft schauen, sondern kann großzügig und freigebig abgeben – und das Wunder geschieht: alle werden satt.
6
Es gibt eine Gelegenheit, wo wir selbst das erleben können: das Abendmahl. Fast wörtlich gebraucht Jesus in unserem Predigttext die Worte, die uns vertraut sind: „Und er nahm die sieben Brote, dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie austeilten.“ Abendmahl ist spürbare Gemeinschaft, die entsteht, wenn Brot gebrochen und geteilt wird und keiner leer ausgeht. „Für euch gegeben …“ Mit Staunen und Ehrfurcht hören und feiern wir im Abendmahl, dass Jesus den ewigen Kreislauf der Gewalt (das Leben auf Kosten anderer) durchbrochen hat. Er gab sein Leben und wurde zum Lebensbrot, das alle satt macht.
Jesus, das Lebensbrot in Person, gibt uns das Brot in die Hand, damit wir es austeilen. Er braucht uns, um die Botschaft weiterzutragen. Wir haben es in der Hand, den Hunger der Welt zu stillen. Nicht immer gelingt es uns. Oft meinen wir, es wäre besser, „auf Nummer sicher“ zu gehen.
Doch immer wieder dürfen wir auch die Erfahrung machen, dass man nicht ärmer wird, wenn man gibt! Nein, oft hat man hinterher sogar mehr als vorher! Spätestens in der Ewigkeit wird das einmal für alle so sein. Das hat Jesus in zahlreichen Gleichnissen erzählt.
Und wenn wir unser Brot bereitwillig austeilen, wenn wir die Not unserer Mitmenschen lindern, dann sorgen wir schon im Hier und Heute für ein Stück Himmel auf Erden’!
Amen