Predigt zu Silvester von Pfr. Reichenbacher

Liebe Gemeinde!

 

Der Predigttext heute ist ein kurzer Abschnitt aus der Geschichte vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Soeben hatte der Pharao das Volk ziehen lassen, nachdem er bei der zehnten und letzten Plage seinen eigenen Sohn verloren hatte. Die Israeliten waren unverzüglich aufgebrochen und zogen nun ostwärts, dorthin, wo sie später auf das sog. Schilfmeer stoßen sollten.

 

lesen 2. Mose 13:

Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolken­­säule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

 

Interessant ist hier zuerst einmal die Ortsbeschreibung: Die Israeliten lagern am Rande der Wüste - sie sind also in einem Zwischenraum: Hinter ihnen liegt Ägypten, vor ihnen das verheißene Land, wo Milch und Honig fließen sollen. In Ägypten haben sie ihre Häuser, manches Hab und Gut und auch eine gewisse Sicherheit, aber natürlich auch die Sklaverei, die Schinderei, die Ausbeutung und Schikane zurück­gelassen.

Aber was liegt vor ihnen?

Die Gefahren der Wüste, Hunger und Durst, Räuber und fremde, feindlich gesinnte Völker - und nur irgendwo in der Ferne, noch weit weg dieses versprochene Land, das Gott für sie bestimmt hat.

Irgendwo dazwischen befinden sie sich jetzt: zwischen der zwar schlimmen, aber bekannten Vergangenheit und der zwar verheißungsvollen, aber ungewissen und nicht ungefährlichen Zukunft.

 

Wo befinden wir uns?

Der Silvesterabend ist ja so eine Zwischen­station: Ein Tag, an dem wir zurückschauen und uns fragen, was wird kommen, wie wird alles werden?

 

Wir haben wahrscheinlich und hoffentlich nicht so eine schwere Vergangenheit wie die Israeliten als Sklaven in Ägypten hinter uns. Aber auch wir blicken zurück auf ein vergangenes Jahr, das sicher nicht nur Gutes und Angenehmes gebracht hat.

Todesfälle in der Familie, persönliche Krankheiten, vielleicht Schwierig­keiten in der Arbeit, Streit mit Verwandten oder Nach­barn, ein Unfall u.v.m.

Und über allem steht, was uns in diesem Jahr gemeinsam betroffen hat: die Corona-Pandemie, die für viele Menschen gesundheitliche Probleme und Ängste mit sich brachte, für manche sogar den Tod. Und auf der anderen Seite litten und leiden alle mehr oder weniger an den Einschränkungen und Veränderungen durch die Gegenmaßnahmen, manche sind sogar in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht!

Nun also stehen wir am Ende dieses besonderen und schwierigen Jahres, blicken zurück und zugleich nach vorn und fragen uns: Wie wird es weitergehen? Wird da wirklich alles wieder besser werden?

 

Gesundheit wünschen sich die meisten für das Neue Jahr – und im Angesicht von Corona sicher noch mehr als sonst. Aber Gesundheit, so wichtig sie ist, ist noch nicht alles, was wir brauchen. Auch Zufriedenheit, Mitmenschlichkeit, Freundschaft, nette Gesten und gute Worte von anderen brauchen wir, um glücklich zu sein. Und ganz neu spüren wir nach diesem Jahr der Einschränkungen, wie sehr uns das Treffen von Verwandten, vielleicht sogar Eltern oder Kindern und Enkeln fehlt. Oder das Zusammensein mit Freunden, das mal schön miteinander Essen gehen oder ins Kino  oder ins Theater oder ins Bad oder ins Fitnessstudio – ja selbst zum Friseur gehen zu können ist nicht mehr selbstverständlich nach diesem Jahr!

Wie wird das im Neuen Jahr werden?

Wie sicher ist mein Arbeitsplatz, wie lange werde ich Kurzarbeitergeld bekommen und wie lange werde ich davon leben können, müssen sich manche fragen, die vielleicht einen Kredit abzahlen müssen. Kann ich im Neuen Jahr die lang geplante Reise tun, die ich dieses Jahr verschieben musste. Werden Hochzeiten gefeiert werden können? Und schließlich: Wird die Impfung tatsächlich helfen – und welche Nebenwirkungen hat sie?

Die Israeliten damals hatten noch viel weniger eine Vorstellung davon, was nun auf sie zukommen würde bei ihrem langen Marsch ins Gelobte Land.

Aber sie hatten einen grundsätzlichen Vorteil gegenüber uns: Sie durften Gott in einer Wolkensäule bei Tag und einer Feuersäule bei Nacht sehen. Gott ging ihnen sichtbar voran - und so wussten sie immer, dass Gott bei ihnen war. Das hat sie zwar später auch nicht davor bewahrt, an Gott und seiner Hilfe zu zweifeln, aber dennoch: Gott ging seinem Volk sichtbar voran!

 

Wäre das nicht auch heute schön? So ein himmlisches Zeichen, so eine himmlische Sicherheit: Genau zu wissen, wohin wir gehen sollen, was wir tun sollen, damit alles gut gelingt? Einen göttlichen Anführer zu haben, der in eine gute Zukunft führt, auf den wir uns verlassen können, das wäre doch toll!

Gerade in schwierigen Zeiten wäre solch ein göttlicher Führer wunderbar – schließlich haben wir mit menschlichen Führern schon manch schlimme Erfahrung gemacht. Deshalb bin ich auch skeptisch, ob die Virologen, die in diesem Jahr die Richtung der Politik schon wesentlich vorgegeben haben, die passenden Führer für uns sind.

 

Aber die göttliche Wolken- und Feuersäule von damals gibt es heute nicht mehr. Wir kennen solche Naturphänomene höchstens noch im Zu­sammenhang mit höchst irdischen Stürmen und Bränden, die Leben vernichten.

Doch die Säulen Gottes wollen Leben schenken und erhalten. Wir müssen sie wohl auf anderem Wege versuchen zu entdecken.

Und dabei kann uns die Vergangenheit helfen. Da kann uns helfen, dass wir zurückblicken und überlegen: Wo und wann habe ich in diesem Jahr gespürt und erlebt, dass Gott bei mir war, dass er mich geführt hat, dass er mich begleitet hat, dass er mir seinen Segen geschenkt hat...

 

Ich möchte Ihnen jetzt ein wenig Zeit geben, selbst ihren persönlichen Rückblick zu halten, selbst zu entdecken, wann Gott Ihnen im vergangenen Jahr besonders nahe war...

 

Stille

 

Vielleicht war Gott für Sie nicht in einer großen Wolken- oder Feuersäule zu sehen, vielleicht eher in einer Kerzenflamme, die sie für einen ver­stor­benen lieben Menschen angezündet haben.

Vielleicht war Gott für sie zu spüren in gespro­che­nen oder geschriebenen Worten, die Ihnen gut ge­tan haben.

Vielleicht war sogar ein Gottesdienst dabei, der sie besonders berührt und angesprochen hat.

Oder ein Ausflug in die Natur, die stiller war als sonst…

 

Ich habe bei der Vorbereitung dieser Predigt über unsere Gemeinde, und was da in diesem Jahr passiert ist, nachgedacht:

Wir hatten nur zwei Hochzeiten – die meisten wurden abgesagt und auf nächstes Jahr verlegt… mal sehen, ob da alles einfacher werden wird.

Getauft wurde mehr: Immerhin 8 Taufen konnten wir feiern, eine davon sogar draußen an unserem neuen Feierplatz hinter der Kirche, den wir neu für uns entdeckten. An Pfingsten haben wir ihn sogar mit einem Holzaltar geweiht.

Den 8 Taufen stehen 15 Todesfälle gegenüber: das ist ein trauriger Negativrekord. Besonders schlimm waren für mich und vor allem für die Angehörigen die Bestattungen, bei denen nur ganz wenige Angehörige dabei sein durften. Bei einer Urnenbeisetzung Ende März wurde die Urne sogar bereits vergraben, bevor die Angehörigen und ich zur Bestattung kamen. Der alte OB wollte auf diese Weise die Friedhofsmitarbeiter vor Ansteckung schützen, aber schoss damit weit übers Ziel hinaus. Fast alle Bestattungen fanden nicht wie sonst zuerst in der Kirche, sondern von vornherein auf dem Friedhof statt, um mehr Frischluft zu haben.

Mit viel Frischluft feierten wir schließlich mit 4 Monaten Verspätung auch Konfirmation: Dank des RRR-Clubs unter dem Zeltdach, das wir auch jetzt zu Weihnachten wieder nutzen durften. 6 Konfis wurden eingesegnet an einem traumhaften September-Sonntag, bei dem wir das Zeltdach vor allem als Sonnenschutz brauchten.

Besonders gefreut haben mich drei Eintritte in unsere Kirche – ein Wiedereintritt und zwei Übertritte. Ihnen stehen 5 Austritte gegenüber: Das ist gar kein sooo schlechtes Verhältnis.

 

Im Kirchenvorstand haben wir uns mehr besprochen als sonst, z.T. in Videokonferenzen, z.T. per Rundmail, um auf alle neuen Vorgaben und Vorschriften angemessen zu reagieren.

Als die Gottesdienste im März verboten wurden, haben wir täglich die Kirche geöffnet und zum Gebet und zur Stille eingeladen. Als die Gottesdienste wieder erlaubt waren, haben wir vormittags und abends einen Gottesdienst angeboten, um die Besucherzahlen niedrig zu halten.

Viel Mühe haben wir uns mit der Gestaltung der Karwoche und der Osterfeiertage gemacht. Manches davon kam so gut an und hat uns selbst so gut gefallen, dass wir es auch in „normalen“ Zeiten beibehalten wollen. So wollen wir den Karfreitag auch zukünftig als stillen Tag halten und unser gotisches Kreuz abnehmen und damit ein sog. Heiliges Grab gestalten und zur stillen Andacht einladen. Ebenso werden wir auch zukünftig das Osterlicht zu den Alten unserer Gemeinde bringen, die nicht mehr in die Kirche kommen können und ihnen ein „Christ ist erstanden“ an der Haustüre singen.

 

Besonders gefordert waren in diesem Jahr Eltern und Kinder, Erzieherinnen und Lehrerinnen und Lehrer. Wahrscheinlich war ich selbst dieses Jahr mehr im Kinderhaus, um den Betrieb unter Coronabedingungen zu planen und zu organisieren, als in allen 19 Jahren zuvor. Trotz vieler Vorsichtsmaßnahmen hatten wir im November dann auch noch insgesamt 5 infizierte Personen aus dem Personal und ein infiziertes Kind, was uns die Schließung des Hauses für zwei Wochen einbrachte.

 

Können wir nun sagen, dass Gott bei alledem dabei war und uns vorausging?

Ich behaupte: Ja!

Schon allein die große Kreativität, mit der wir unser Gemeindeleben doch in weiten Teilen aufrecht erhalten konnten, kann ich mir nur mit Hilfe von Gottes Geist vorstellen.

Ebenso bin ich auch sicher, dass Gott uns beigestanden hat, dass im Rahmen unserer gemeindlichen und gottesdienstlichen Veranstaltungen keine Infektionen festgestellt wurden.

 

Vielleicht konnten Sie auch in Ihrem persönlichen Rückblick feststellen, dass Ihnen Gott vorangegangen ist oder dass Sie in besonderer Weise von ihm begleitet wurden in der ein oder anderen Situation.

 

Gott hat damals seinem Volk versprochen, bei ihm zu sein. Und dieses Versprechen hat er mit dem Leben und Sterben von Jesus Christus erneuert.

Wenn aber Gott in der Vergangenheit geholfen hat und bei uns war, dann wird er es auch in der Zukunft sein. Denn Gott hat keinen Anfang und kein Ende, deshalb kennt Gottes Liebe ebenfalls keinen Anfang und kein Ende. Wie in der Vergangenheit wird er auch in Zukunft seinen geliebten Menschen, seiner geliebten Schöpfung nahe sein.

 

Vielleicht kennen Sie die schöne Geschichte, die auch in unserem Gesangbuch zu finden ist, die in sehr schöner Weise diese Nähe Gottes erzählt.

An Silvester rufe ich sie gerne in Erinnerung und möchte sie Ihnen heute ganz besonders fürs Neue Jahr mitgeben:

Ein Mensch träumt, dass er mit seinem Herrn Jesus einen Rückblick auf sein Leben hält. Bilder von verschiedenen Stationen seines Lebens tau­chen vor ihm auf. Und neben diesen Bildern sieht er zwei Spuren im Sand: seine eigene und die von Jesus. Und er freut sich, dass Jesus ihn ganz offensichtlich begleitet hat durchs Leben. Doch beim genaueren Hinsehen entdeckt er, dass an bestimmten Stellen nur eine Spur zu sehen ist - und zwar immer dann, wenn es ihm besonders schlecht im Leben gegangen war: Damals als die Mutter starb, dann, als er einen Unfall hatte und lange im Krankenhaus lag... Da sagte er zu Jesus: Gerade dann, als es mir besonders schlecht ging, ist nur eine Spur zu sehen. Da hätte ich dich doch besonders gebraucht, aber du warst nicht bei mir. Doch Jesus entgegnet: Ich habe dich nie verlassen. Da, wo du nur eine Spur siehst, da hab´ ich dich getragen!

Amen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.