Liebe Gemeinde!
Als Predigttext hab ich für heute Morgen den Predigttext der Christmette gewählt. Es ist ein Teil der nicht ganz so bekannten Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Matthäus. Hauptperson ist in diesem Abschnitt nicht Jesus, nicht Maria, sondern Josef – also der, der auf den Weihnachts- und Krippendarstellungen immer so etwas in den Hintergrund gerückt wird.
Auf unserem Altar muss er sogar schweben über dem Kinder, Ochs und Esel und Maria – die befinden sich im Zentrum und für Josef war einfach kein Platz mehr. Also wird er kurzerhand nach oben geschoben und schwebt nun etwas eigentümlich über der ganzen Szenerie.
Darf ich also vorstellen: Josef – aus der Sicht des Evangelisten Matthäus. Was wissen wir von ihm?
Er ist der Verlobte bzw. Mann der Maria.
Geburtsdatum / Alter: unklar
Wohnort: Nazareth
Beruf: Zimmermann und Tischler.
Volkszugehörigkeit: Jude, naja, sagen wir besser: Galiläer – das sind die Renitenten in der römischen Provinz Judäa, die, die immer Schwierigkeiten machen, sich gegen die Römer auflehnen, Aufstände organisieren, einen Guerillakampf gegen die römischen Soldaten führen… wir wissen es nicht, aber es gibt Theorien, dass Josef zu solchen Leuten gehört. Dass sein Sohn und dessen Jünger später Galiläer sind, macht sie jedenfalls schon von vornherein verdächtig bei den jüdischen wie den römischen Behörden…
Josefs Charaktereigenschaften, die Matthäus beschreibt sind allerdings sehr positiv: Er sei sehr fromm und gerecht, denn er wolle keinesfalls seine Verlobte in Schwierigkeiten bringen.
Seine Vorzüge: Er scheint sehr schweigsam zu sein – kein einziges Wort von ihm ist überliefert im gesamten Neuen Testament! Für manche Frau vielleicht ein idealer Ehemann – für andere aber nicht. Oder sollte er etwa nichts Nennenswertes zu sagen gehabt haben?
Seine Leidenschaft schließlich gilt Maria, seiner Verlobten – für sie tut er alles!
Die Weihnachtsgeschichte des Lukas ist uns vertrauter – sie ist die lieblichere, die romantischere, die anrührendere. Die Weihnachtsgeschichte des Matthäus ist dafür die tiefsinnigere, die psychologisch spannendere.
Lukas erzählt aus der Perspektive der Maria – Matthäus aus der des Josef.
lesen Matthäus 1,18-25
Versetzen wir uns einmal in Josef. Der ist über beide Ohren verliebt in seine Maria. Ich stelle mir vor, er träumt davon, mit ihr eine Familie zu gründen. Sicher sind beide noch sehr jung. Aber ihre Eltern haben sich offenbar darauf geeinigt, dass die beiden heiraten dürfen. Vielleicht muss Josef erst noch ein Haus, eine Wohnung herrichten, denn die Hochzeit wird zu dieser Zeit dadurch vollzogen, das die Frau ins Haus des Mannes einzieht. Davor gibt es vielleicht einmal einen heimlichen Kuss, aber mehr ganz sicher nicht.
Ich stelle mir vor, wie Josef diesen Tag herbeisehnt, dass er Maria endlich in sein Haus holen darf.
Doch dann ein Schicksalschlag! Was für eine Enttäuschung! Was für ein Affront! Maria ist schwanger!
Josef kann gar nicht anders als glauben, dass Maria einen anderen Liebhaber hat, obwohl sie beteuert, dass es nicht so sei. Was sie da vom Hl. Geist erzählt, überzeugt ihn nicht. Frauen werden wohl manchmal etwas wunderlich, wenn sie schwanger werden, denkt er sich vielleicht. Er kann sich ja auch nicht mit irgendjemand bereden – das wäre so peinlich!
Aber was soll er nun tun?
Heiraten will und kann er sie nicht mehr. Das ist klar.
Josef könnte die Vereinbarung der Familien aufkündigen. Maria würde dann eine ledige Mutter werden und wäre auf die Gnade ihres Vaters angewiesen. Der wiederum hätte die Macht, sie aus der Stadt jagen zu lassen. Und dann hätte sie die Wahl zwischen Prostitution und Betteln, um sich und ihr Kind durchzubringen.
Josef schaudert bei dem Gedanken. Nein, das hat sie nun auch nicht verdient, mag er sich denken, außerdem hat er sie dafür viel zu lieb als dass er ihr so ein Schicksal wünschen könnte.
Also wird er gehen, nimmt er sich vor. Er will sich heimlich aus dem Staub machen, irgendwohin hingehen, wo ihn keiner kennt. Dann würde alle Welt denken: Wie kann dieser Josef seiner Verlobten ein Kind anhängen und sie dann im Stich lassen. Ihre Familie würde sich um Maria und das Kind kümmern und vielleicht würde sich sogar ein Mann finden, der sich der Mutter und ihres Kindes erbarmen und sie heiraten würde.
Das ist der Plan des frommen und gerechten Josef.
Doch der Plan Gottes ist ein anderer.
Gottes Plan ist, dass Josef Adoptivvater wird. Josef soll sich um das erste Kind der Maria kümmern als wäre es sein eigenes. Gott braucht einen menschlichen Vater für seinen Sohn – und der soll Josef sein!
Und so macht er es wie viele Male zuvor bei anderen wichtigen Gestalten der Bibel. Er erscheint Josef im Traum bzw. er lässt seinen Engel dem Josef im Traum erscheinen. Und der Engel erklärt nun dem Josef, was Sache ist.
Das ist sicherlich nicht so leicht zu verdauen für Josef, als er aufwacht.
Und doch: Wie viele Männer tun heutzutage genau dies?! Wie viele Kinder wachsen mit ihrer Mutter und einem Mann auf, der nicht ihr Vater ist? Wie viele Männer schaffen genau dies auf ganz bewundernswerte Weise, dass sie die Kinder eines anderen Mannes als ihre eigenen annehmen und sich ganz wunderbar um sie kümmern?
Wir leben in einer Zeit, in der Beziehungen nicht mehr so dauerhaft funktionieren wie früher. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass das früher nicht unbedingt immer besser war. In der Regel waren die Frauen abhängiger von ihren Männern und mussten deshalb bei ihnen bleiben, auch wenn die Ehe alles andere als gut verlief. Ich werde nie den Satz einer alten Mesnerin aus einer meiner früheren Gemeinden vergessen, die im Trauergespräch über ihre und andere unglückliche Ehen ihrer Generation sagte: Wir wär´n doch alle fort, wenn wir nur gekönnt hätten.
Nun, für die Kinder ist es jedenfalls wunderbar, wenn sie einen Vater haben! Nicht nur einen himmlischen, sondern auch einen irdischen. Selbst das Gotteskind braucht offensichtlich einen irdischen Vater!
Und Josef erfüllt seine Rolle perfekt:
1. Er kümmert sich um seine Frau und schafft es sogar, sich körperlich zurückhalten bis sie ihr erstes Kind, das Kind Gottes, zur Welt bringt. Danach haben sie noch viele weitere Kinder, von denen zumindest die Söhne mit Namen vom Evangelisten Markus überliefert werden.
2. Er rettet sein Kind davor, von den Häschern des Königs Herodes gefasst zu werden und flieht nach der Geburt mit ihm und Maria nach Ägypten – wieder auf Geheiß des Engels des Herrn im Traum.
3. Er lehrt seinen Ältesten seinen eigenen Beruf. Jesus lernt das Zimmermanns- und Tischlerhandwerk!
Josef tut damit alles für das Gotteskind, was man von einem Mann und Vater in der damaligen Zeit im Idealfall erwarten kann. Schade, dass wir aber nichts mehr von ihm hören, als Jesus als Erwachsener beginnt, seine familiären Bande zu lösen und sich nicht so verhält wie man es für den ältesten Sohn einer Familie erwarten darf. In einer kleinen Episode erfährt man beim Evangelisten Markus, dass Maria und die Geschwister Jesus zurückholen wollen. Denn dieser hatte begonnen, am See Genezareth aufzutreten und zu predigen, zu heilen und Wunder zu tun. Der Hintergrund ist wahrscheinlich, dass Josef gestorben ist und die Familie zu Recht erwartet, dass Jesus den Betrieb übernimmt und die Mutter und die minderjährigen Geschwister versorgt.
Doch genau das ist wieder nicht Gottes Plan und auch nicht das Ansinnen von Jesus. Und es kommt zu dem im ersten Moment verstörenden Satz: Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Jesus weitet sozusagen sein familiäres Umfeld aus auf alle Menschen, die auf ihn hören und glauben, dass er den Willen Gottes verkündet.
Und damit tut Jesus genau das, was der Engel des Herrn dem Josef schon im ersten Traum offenbart:
Maria wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
Darum geht es. Darum geht es Gott, darum geht es Jesus: Alle Menschen sollen gerettet werden, für alle ist Jesus geboren, alle hat er gelehrt und geheilt, für alle ist er gestorben und auferstanden – nicht etwa nur für eine bestimmte Familie.
Nicht nur Josef, auch Maria darf nur in einer begrenzten Weise Mutter sein für Jesus. Nicht ihr ist ein Kindlein geboren – sondern uns allen! Euch ist heute der Heiland geboren – das sagt der Engel nicht zu Maria und Josef, er sagt es zu den Hirten! Von Anfang an sprengt dieses Kind den familiären Rahmen!
Was sagt das für unsere familiären Beziehungen aus?
Natürlich wünschen sich Eltern, dass sie mit ihren Kindern immer in guter Verbindung bleiben. Und in der Regel erhoffen sich Kinder das ebenso mit ihren Eltern.
Aber es kann Situationen geben, wo die familiären Bande zurückstehen müssen – aufgrund einer besonderen Aufgabe, einer Vision, eines anderen Menschen, der wichtiger wird als die Herkunftsfamilie.
Freilich, was Jesus später einmal über einen Mann sagt, der ihm zwar folgen will, aber zuerst noch Vater und Mutter ordentlich bestatten möchte, ist verstörend. Oder wenn Jesus sagt: Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
Da müssen wir schon schlucken. Aber wenn wir das mit Josef und seiner Rolle als Adoptivvater und Lebensbegleiter für Jesus auf Zeit in Verbindung bringen, dann fällt es vielleicht etwas leichter, solche Sätze anzunehmen – und ebenso fällt es dann vielleicht leichter, auch anzunehmen, dass auch meine Verbindung zur Herkunftsfamilie eine Verbindung für eine bestimmte Zeit ist. Schön, wenn sie auch noch gelingt, wenn die Kinder erwachsen sind, aber das ist dann sozusagen ein besonderes Geschenk, sozusagen die Kür der familiären Beziehung.
Es wird sehr spannend werden, wenn einmal auf dieses Jahr 2020 und auch auf dieses Weihnachten zurückgeschaut werden wird. Was ist da passiert mit den Familien, mit dem Verhältnis zwischen den Jungen und den Alten, als wir uns nicht mehr so ungezwungen und problemlos treffen durften? Wie hat sich das Miteinander verändert, wenn man diese schwierige Gratwanderung gehen muss zwischen „auf keinen Fall den alten Menschen gefährden“ auf der einen Seite und auf der anderen ihn aber auch nicht vereinsamen lassen will und darf.
Ich denke, diese Situation, die wir nun bald schon ein Jahr lang erleben und wohl noch lange erleben müssen, wird etwas mit uns und unseren Beziehungen, auch in unseren großfamiliären Beziehungen machen…
Es muss nicht alles schlechter werden, aber es verändert sich etwas, wir verändern uns dadurch.
Was hat es mit Josef gemacht, ein solch besonderes Kind zu haben?
Hat er noch mitbekommen, wie Jesus begonnen hat, am See Genezareth aufzutreten und zu wirken?
Hat er ihn verstanden?
War er vielleicht sogar stolz auf seinen Adoptivsohn?
Wir wissen es nicht.
Aber wir wissen, dass Josef seinen Teil beigetragen hat, dafür zu sorgen, dass dieses Kind behütet aufwachsen und stark werden konnte – so stark, dass es das Böse auf der Welt besiegen konnte.
Wenn Kinder groß und stark werden und ihren eigenen Weg gehen können, dann haben die Eltern etwas Wesentliches geschafft. Das gilt ganz sicher auch für Josef und seine Maria.
Amen.