Predigt zum 3. Adventssonntag von Paul Meisel

I.

Liebe Brüder und Schwestern,

habt ihr das schon einmal erlebt, dass es euch die Sprache verschlagen hat, euch die Worte fehlten? Vor Glück oder auch vor Kummer?

Der heutige Predigttext erzählt von einem alten Mann, Zacharias, ihm hat es die Sprache verschlagen. Neun Monate war er verstummt. Zacharias war Priester am Jerusalemer Tempel. Das Los bestimmte ihn dazu, in diesem Jahr das Räucheropfer im Tempel darzubringen. Umhüllt vom Rauch des Feuers, erschien ihm der Engel Gabriel und kündigte ihm die Geburt eines Sohnes an. Zacharias konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. Seine Frau und er waren schon längt über die Zeit des Kinderkriegens hinaus. Sie hatten sich damit abgefunden, keine Kinder zu bekommen. So zweifelte Zacharias an der Verheißung des Engels und als Strafe oder Hinweis auf Gottes Macht ließ ihn der Engel verstummen. Doch seine Frau Elisabeth wurde tatsächlich schwanger und gebar einen Sohn. Da fand Zacharias seine Sprache wieder und lobte Gott. Wir hören, wie der Evangelist Lukas das beschreibt:

Und sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach:

 

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!

 

Denn er hat besucht und erlöst sein Volk

 

und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils

 

im Hause seines Dieners David

 

wie er vorzeiten geredet hat

 

durch den Mund seiner heiligen Propheten –,

 

dass er uns errettete von unsern Feinden

 

und aus der Hand aller, die uns hassen,

 

und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern

 

und gedächte an seinen heiligen Bund

 

und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham,

 

uns zu geben,

 

dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde,

 

ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang

 

in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.

 

Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.

 

Denn du wirst dem Herrn vorangehen,

 

dass du seinen Weg bereitest

 

Und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk

 

in der Vergebung ihrer Sünden,

 

durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,

 

durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,

 

auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes

 

und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Gott, segne unser Reden und Hören. Amen.

Zacharias - ein Mann voller Sehnsucht. Vielleicht war ihm das selbst nicht bewusst. Zu oft war seine Hoffnung auf ein Kind enttäuscht worden. Wer allzu viele Schläge wegstecken muss, wer allzu viel Leid erleben oder mit ansehen muss, der unterdrückt die Hoffnung und vergisst das Sehnen. Unerfüllte Sehnsucht tut weh und irgendwann verdrängt man die Sehnsucht, weil man das Leben sonst nicht aushält. Kinder zu haben – das ist für die Menschen jener Zeit die größte Hoffnung und das wichtigste Lebensziel. Wer Kinder hat, galt damals als von Gott gesegnet. Kinderlosigkeit hingegen als ein Fluch. Heute gibt es viele Formen, ein erfülltes Leben zu führen, mit und ohne Kinder. Damals war das anders. Zacharias und Elisabeth werden schwer an ihrem Schicksal getragen haben, immer auch mit den bohrenden Fragen: „Liegt es an mir oder dir, dass wir unfruchtbar sind? Haben wir uns etwas zu Schulden kommen lassen?“ Die bohrenden Fragen haben wahrscheinlich ihre Beziehung zueinander belastet, und vermutlich auch ihre Beziehung zu Gott.

Wie ist das denn, wenn ich Gott immer wieder inständig um etwas bitte, z.B. ein Kind, und es bleibt mir versagt? Gerne würde Zacharias den Verheißungen des Engels glauben. Aber wer glaubt und hofft, macht sich verletzlich und kann enttäuscht werden.

Zacharias hält es lieber mit der gesunden Skepsis und hält sich an der vermeintlichen Realität fest: „Wir sind zu alt dafür, so ist das halt.“

Es gibt viele „Zachariasse“ unter uns, Männer und Frauen. Menschen, die gelernt haben, ihre Sehnsüchte zu verdrängen und auf das Machbare zu setzen. Menschen, die ihren Glauben und ihre Hoffnung nicht mehr spüren, weil sie Angst haben, enttäuscht zu werden. Zacharias, männlich oder weiblich, sitzt vielleicht heute neben mir, liegt neben mir im Bett und ich ahne nichts von seinen oder ihren Sehnsüchten und Enttäuschungen. Zacharias, das bin ich vielleicht manchmal auch selbst mit meiner Gründlichkeit und meinem Arbeitseifer, mit denen ich mein Leben zu meistern versuche.

Die „Zachariasse“ unter uns sind wichtig für die Gesellschaft. Sie halten den Betrieb oder die Familie am Laufen, weil sie sich nicht so leicht erschüttern lassen. Sie versehen ihre Pflicht. Jahraus, jahrein versehen sie ihren Dienst, regelmäßig und verlässlich, im Tempel, in der Verwaltung, im Betrieb, in der Familie, in der Klasse. Das ist für viele andere eine große Hilfe. Zacharias Stabilität verleiht auch anderen Halt. Gut, dass es sie gibt.

Zacharias zweifelt, er kann nur auf das vertrauen, was er mit eigenen Augen sehen, mit Händen greifen kann. Er ist kein Träumer, der sich vom erstbesten Engel zu einer fahrlässigen Hoffnung verlocken lässt.

Zacharias verstummt. Seine gelähmte Zunge wird zum Zeichen für seine gelähmte, ermüdete Seele, die das Hoffen und Sehnen verlernt hat.

Doch dann wird das Wunder wahr. Elisabeth und Zacharias werden Eltern. Am achten Tag präsentieren sie ihren Sohn Johannes anlässlich des Beschneidungsfestes der Öffentlichkeit und nennen seinen Namen. Nach den gängigen Regeln der patriarchalischen Gesellschaft hätte der Sohn auch Zacharias heißen müssen, wie der Vater. Doch Zacharias schreibt den Namen Johannes auf und in dem Augenblick fällt von Zacharias die Lähmung ab und er singt sein Lied, den großen Lobgesang, das Benedictus wie es lateinisch heißt, das wir vorhin gehört haben.

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!

 

Denn er hat besucht und erlöst sein Volk

 

und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils.

Nach alldem, was er erlebt hat, singt Zacharias ein Loblied auf Gott. Er singt seine Freude hinaus über dieses Wunder, das seine Frau und er erleben dürfen, und er erinnert an die lange Geschichte Gottes mit seinem Volk. An diese lange Liebesbeziehung, in der sich Gott immer wieder seines Volkes erbarmt hat.

II.

Gott besucht unverhofft und erlöst. Nicht nur damals zu Zacharias und Elisabeths Zeiten, sondern auch heute.

Gott besucht Menschen auch heute! Woran kann ich das erkennen? Wenn Menschen aufgerichtet werden, wenn Menschen getröstet und geliebt werden, die schon lange nicht mehr in den Arm genommen wurden.

Gott besucht Menschen, und sie bekommen plötzlich neue Kraft, alte, unheilvolle Wege zu verlassen. Sie können aufsehen und erkennen, was sie in der Vergangenheit geprägt hat, muss nicht so bleiben: die unerfüllte Sehnsucht nach einem liebevollen Partner, die unheilvolle Abhängigkeit von einer Droge, die bedrängende Einsamkeit, die Gewalt, die sie bedrückt.

III.

Zacharias fällt es wie Schuppen von den Augen, und er erinnert sich an die Verheißungen, die Gebete, die schon seine Eltern gekannt und getragen haben.

Gott hält, was er verspricht. Er geht mit uns durch das Leben, wie er es schon seit Urzeiten mit den Menschen macht.

Gott erlöst uns von dem, was uns gefangen hält, er erlöst uns von unseren Feinden.

„Wer sind denn die Feinde?“, fragen wir uns zurecht.

Sie werden im Lobgesang des Zacharias zweimal genannt. Die Feinde und Ihr Gerede sind widerlegt. Die Feinde, das sind jene, die die kinderlos Gebliebenen auf ihre Unfruchtbarkeit festlegen, und die Alten darauf, dass sie keine Zukunft haben. Die Feinde legen Zacharias und uns auf Bilder fest, denen wir entsprechen müssen. Das ist die Macht, die sie über uns haben. Zacharias wird ein Kind geschenkt, er muss sich und seine Frau nicht mehr rechtfertigen gegen die stummen Vorwürfe seiner Feinde. Er hat – nach dieser langen Zeit des Zweifelns und der inneren Kämpfe – endlich seine Sprache wiedergefunden und kann voller Überzeugung Gott loben.

IV.

In den Laudes, dem Morgengebet der Kirche, wird jeden Morgen dieses Loblied des Zacharias gebetet und gesungen. Wie die Finsternis der Nacht seit Anbeginn der Welt Morgen für Morgen vom Licht vertrieben wird, so vertreibt der Besuch Gottes die Niedergeschlagenheit der Menschen. Verlässlich wie die Sonne, die den neuen Tag heraufbringt, erfüllt Gott seine Versprechen. Und wie im Morgenschein etwas Neues beginnt, so erscheint mit dem aufgehenden Licht aus der Höhe das neue Licht denen, die im Schatten ihrer Verzweiflung, ihrer Sorgen, ihrer Nieder­geschlagen­heit sind. Das wiederholt sich an jedem Morgen – unabhängig davon, was der Tag bringen wird.

„Das Benedictus ist ein leuchtendes Zeichen für die unverwüstliche Hoffnung aller elenden Menschen auf den endlichen Triumpf über diese und jene Finsternis.“, meint der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch.

Wann kann ich, wann könnt ihr Gott loben?

Wenn wir uns daran erinnern, was Gott für uns, unsere Familie, was Gott für die ganze Schöpfung getan hat. Aus der Erinnerung erwächst das Gotteslob.

„In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über die Flügel gebreitet“, so singt es ein altes Lied.

Zacharias macht es so. Er erlebt ein unvorstellbares Wunder. Er geht offen damit um, erzählt es in aller Öffentlichkeit. Das weckt bei seinen Zuhörern damals und heute Glauben.

Am Ende erkennt er: All dies geschieht, damit wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, Gott dienen ohne Furcht unser Leben lang.

Gott dienen ein Leben lang – das macht nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer, die Mesnerinnen und Mesner oder Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in der Kirche.

Gott dient ihr in eurem Beruf, in eurer Familie, in unserer Gemeinde, im Gespräch mit euren Kindern und Enkeln, beim Besuch eurer Eltern.

Gott zu dienen ohne Furcht unser Leben lang – dazu sind wir alle berufen.

Advent ist’s – Gott geht mit und führt uns womöglich neue Wege.

Gott sei gelobt allezeit, auch durch euch und mich. Amen.