Predigt zum Weißen Sonntag von Lektor Paul Meisel

Liebe Schwestern und Brüder,

was braucht es, dass ihr etwas wirklich glauben könnt?
Mal angenommen hier taucht gleich ein Mann auf und erzählt uns, dass er Jesus Christus ist.

Oder noch besser: wir gehen nachher nach Hause und auf dem Weg treffen wir eine Freundin, die uns aufgebracht erzählt, dass Jesus Christus ihr begegnet ist.

Würden wir das glauben?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es nicht tun würde.

Ich würde dem Mann, der hier auftaucht, oder der Freundin, die uns auf dem Heimweg begegnet, wohl eher raten, sich mal ordentlich auszuschlafen….

Was braucht es, dass ihr etwas wirklich glauben könnt?
Im Evangelium haben wir von Thomas gehört.
Die Kirche hat ihn später mit dem Adjektiv ungläubig versehen.
Mit Sicherheit kein Ehrentitel.

Und auch mein erster Impuls geht bei dieser Erzählung in diese Richtung.
Thomas hat Jesus doch gekannt.
Ist mit ihm umhergezogen.
Hat ihn predigen hören.

War am Gründonnerstag dabei und am Karfreitag.
Und jetzt glaubt er nicht, wenn seine besten Freunde ihm von der Auferstehung erzählen.

Irgendwie entsetzlich – irgendwie verständlich.

Thomas will Beweise.
Er will die Wunden Jesu sehen, will sie berühren.
Und wenn ich darüber nachdenke, verstehe ich ihn.
Das klingt doch wirklich zu abenteuerlich, was die Anderen da erzählen.
Er war doch dabei, als Jesus gestorben ist.
Wie soll der jetzt plötzlich wieder am Leben sein?
Das widerspricht allen Gesetzen der Natur, widerspricht aller Logik.
Thomas kann das so nicht einfach glauben.

Eine Woche nach der Auferstehung sitzen die Jünger alle zusammen.
Dieses Mal ist Thomas dabei.

Jesus kommt wieder durch verschlossene Türen und steht plötzlich in ihrer Mitte und spricht den Friedensgruß: „Friede sei mit euch!“

Wie eine Woche vorher will er seine Wunden zeigen.
Aber nicht allen, sondern nur Thomas.
Also geht Jesus auf Thomas zu und fordert ihn auf, das zu tun, wonach er verlangt hat.
Jesus sagt zu Thomas: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

Die Szene, die sich daraus ergeben hat, kann man in unzähligen Bildern anschauen.
In aller Deutlichkeit haben die alten Meister Thomas dargestellt, wie er den Finger in die Wunde legt.

Im Evangelium lesen wir von dieser Szene allerdings kein Wort.
Johannes überliefert nicht, dass Thomas das tut, wonach er vorher verlangt hat.
Thomas‘ direkte Antwort auf die Aufforderung von Jesus sind fünf Worte.
„Mein Herr und mein Gott!“

Was für eine Wandlung.
Der gleiche Thomas, der ein paar Zeilen weiter oben nicht glauben wollte wird zum Bekenner.
Der angeblich ungläubige Thomas formuliert in knappen Worten das eindrücklichste Glaubensbekenntnis, das ich kenne.
Mein Herr und mein Gott.

Die Frage, ob Jesus nun auferstanden ist, scheint keine Rolle mehr zu spielen.
Thomas könnte ja auch sagen: „Jetzt glaube ich, dass du wirklich Jesus bist“, oder „Jetzt glaube ich, dass du auferstanden bist.
Doch nichts davon.
Stattdessen „Mein Herr und mein Gott.“

Spätestens hier wird mir klar, dass es wirklich ungerecht ist, dass Thomas mit dem Adjektiv ungläubig gestraft wird.
Thomas glaubt.

Mein Herr und mein Gott.
Wenn man Thomas nun unbedingt einen Beinamen verpassen will, hätte ich einen anderen Vorschlag.
Einen, der in meinen Augen deutlich besser passt:
Thomas der Zweifler.

Und daran kann ich nichts ehrenrühriges mehr finden.
Im Gegenteil.
Thomas wird mir mehr und mehr sympathisch.
Erinnern wir uns an meine Fragen vom Anfang der Predigt.

Was braucht es, dass wir etwas wirklich glauben?
Hätten wir an seiner Stelle anders gehandelt?

Hätten wir den anderen Jüngern geglaubt?
Ich wohl nicht.
Wenn Christus heute wiederkommen würde, dann würde ich wohl auch nach Beweisen fragen.
Würde einfordern, dass er mich mit eigenen Sinnen erfahren lässt, dass er es wirklich ist.

 

Liebe Brüder und Schwestern,
was ich aus dem Evangelium für mich mitnehme ist, dass zweifeln völlig in Ordnung ist und das finde ich tröstlich.
Weil ich diese Zweifel ja kenne.
Wir leben in einer Zeit, in der wir für alles eine Erklärung brauchen.
Wir leben in einer Zeit, in der es extrem wichtig ist, alle unglaublichen Nachrichten zu hinterfragen.
Wo Fake News und Verschwörungstheorien die Runde machen, weiß man manchmal gar nicht mehr, was man noch glauben kann.
Aber die Osterbotschaft ist eben nicht Fake News.
Ostern ist keine Verschwörungstheorie.
Ostern hält unseren Zweifeln stand.
Die Auferstehung darf hinterfragt werden und widersteht dem – anders als Fake News und Verschwörungsmythen.
Die Auferstehung darf hinterfragt werden und wird es auch – nicht nur von außen, sondern auch aus dem innersten Kreis.

Thomas glaubt die unglaubliche Nachricht nicht blind, er sucht nach der Wahrheit – und Christus ist ihm nicht böse.
Er geht auf ihn zu und will ihm zeigen, was er verlangt.
Christus geht auf Thomas zu.
Christus kommt zum Zweifler und überzeugt ihn.
Christus, kommt zu jeder und jedem.

Wenn wir zweifeln und hinterfragen, dann sind wir auf der Suche.
Wie Thomas wollen wir die Wahrheit finden.
Wir suchen Christus und entdecken ihn.
In der Schönheit von Gottes Schöpfung.
In unserem Nächsten.

Aber nicht nur bei dieser Suche nach der Wahrheit kann Thomas Vorbild sein.
Wenn ich Christus entdeckt habe, will ich wie Thomas innehalten und mit ihm bekennen:
Mein Herr und mein Gott.