Predigt zur Jubelkonfirmation 2020 in Reutti von Pfr. Stefan Reichenbacher

Liebe Gemeinde!

 

Jahrzehnte sind vergangen, seit Sie hier in der Kirche, wahrscheinlich im Chorraum saßen und Ihre Konfirmation feiern durften. Damals stand da noch der Patronatsstuhl vorne im Chorraum und es war noch enger hier vorne als heute. Aber ganz gleich, alle fanden ihren Platz und alle konnten mitfeiern.

 

Dieses Jahr war alles anders. Selbst in den Kriegsjahren gab es das nicht, dass Konfirmationen ausgefallen wären hier in Reutti. Aber Corona hat das geschafft. All unsere Pläne für dieses Jahr wurden gründlich über den Haufen geworfen, vor allem im Frühjahr und Frühsommer. Immerhin konnten wir die Konfirmation im September als Freiluft-Veranstaltung nachholen und hatten sogar unglaubliches Wetterglück dabei.

 

Jetzt im November-Lockdown geht es uns in der Kirche, zumindest was die Gottesdienste anbelangt, besser als manchen anderen, z.B. Künstlern und Vereinen. Die Politiker haben erkannt, dass das Recht auf freie Religionsausübung im Grundgesetz verankert ist und deshalb eigentlich nicht so leicht ausgehebelt werden darf wie das im Frühjahr geschehen ist. Selbstverständlich halten wir uns in der Kirche aber ebenso an die vorgeschriebenen Hygienevorsichtsmaßnahmen.

 

Von den Dingen, die ich aber in diesem Jahr aufgrund der Anticorona-Maßnahmen gelernt habe, möchte ich zwei Dinge aufgreifen:

1. Wir können nicht mehr so locker das Jahr durchplanen. Erstes kommt es anders, zweitens als man denkt, ist so ein lockerer Spruch, der dieses Jahr in unangenehmer Weise wahr geworden ist. Wir können schon planen, aber wir müssen viel mehr als früher im Hinterkopf behalten, dass neue Vorschriften und Vorsichtsmaßnahmen unsere Pläne ganz schnell hinfällig machen können.

 

2. Wir müssen wachsam sein: Wachsam in vielerlei Hinsicht:

- Wachsam, dass wir beim Eigenschutz und beim Schutz anderer vor Ansteckung nicht nachlässig oder gedankenlos werden.

- Wachsam aber auch, dass der Staat nicht unverhältnismäßig in die Freiheitsrechte seiner Bürger und Bürgerinnen eingreift und eben z.B. das Recht auf freie Religionsausübung nicht behindert.

- Wachsam schließlich sein, indem wir bereit sind, uns immer wieder auf neue Situationen, auf neue Erkenntnisse, ggf. auch auf neue Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Virus einzustellen.

 

Nicht selbstverständlich Zukunftspläne zu machen und zugleich wachsam zu bleiben, hören wir auch schon in Worten des Paulus im ältesten Dokument des Neuen Testaments, dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessalonich, heute Theassaloniki.

 

Paulus schreibt da: (Kap. 5)

Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. 3Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.

4Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. 5Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. 6So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

 

Wachen und nüchtern sein:

Bei nüchtern sein denk ich immer gleich an Blutbild machen bei meiner Hausärztin und nichts frühstücken dürfen. Und manche von Ihnen fragen sich jetzt vielleicht, ob das Viertele Rotwein am Abend vor dem Schlafengehen, das der Arzt empfohlen hat, vielleicht doch keine so gute Empfehlung ist…?! Und schlecht schlafen und nachts wachliegen ist für manche unter Ihnen vielleicht auch ein Problem – soll das nun auf einmal etwa etwas Gottgefälliges sein?

Nein, diese Worte sind eine Bildsprache. Es sind Worte die im übertragenen Sinne gemeint sind: Wir sollen nüchtern im Sinne von überlegt, klar denkend und abwägend sein und zugleich wachsam im Sinne von aufmerksam, interessiert am Geschehen in der Welt und in Bezug auf Gott und meinen Glauben sein.

Paulus würde z.B. kritisieren, wenn Menschen sagen: Ach, Glaube und Kirche, Engagement für meinen Mitmenschen und für die Gemeinschaft – damit kann ich mich beschäftigen, wenn ich mal im Ruhestand bin… Jetzt muss ich vor allem erstmal ordentlich Geld verdienen und großes Haus bauen.

Es ist klar, dass im Laufe eines Lebens sich Prioritäten verschieben, dass Manches, das mit 30 wichtig ist, mit 50 nicht mehr wichtig ist und schon gar nicht mit 70 und umgekehrt.

Aber Paulus möchte uns ermuntern, dass wir das, was wir da mit 14 Jahren bei unserer Konfirmation bekannt und versprochen haben vor Gott und der Gemeinde, nicht aus den Augen verlieren, auch wenn wir natürlich nicht immer gleichermaßen Zeit und Kraft haben, uns z.B. im Gemeindeleben aktiv einzubringen.

 

Warum bzw. mit welcher Motivation ermuntert uns Paulus? Mit einer wunderbaren Zusage:

Ihr seid Kinder des Lichts und des Tages.

Durch unsere Taufe hat Gott das Samenkorn des Glaubens in uns gelegt und uns den Hl. Geist geschenkt. Und in der Konfirmation haben wir „Ja“ zu dieser Taufe gesagt und versprochen, diesen Geist Gottes in uns und durch uns wirken zu lassen. Denn wir sind durch diesen Geist erleuchtet. Wir sind also Erleuchtete – und als solche sind wir natürlich Kinder des Lichtes und Kinder des Tages.

 

Wie können wir das nun verstehen?

Wir haben durch unseren Glauben, den Gott uns geschenkt hat, auch ein paar Fähigkeiten dazubekommen, die uns vielleicht gar nicht so bewusst sind, die wir aber haben: Wir können mit den Augen des Glaubens sehen; wir können mit den Ohren der göttlichen Barmherzigkeit hören; und wir können mit den Händen des Gottvertrauens handeln!

 

Damit will ich sagen:

Wir sehen mit den Augen des Glaubens auf diese Welt und können die Schönheit der Schöpfung Gottes wahrnehmen und deshalb erkennen, wie gut sie uns tut, wie wichtig sie uns ist und was sie braucht, um uns erhalten zu bleiben.

Wir können mit den Ohren der Barmherzigkeit hören, welche Nöte es in der Welt gibt, was mein Mitmensch mit sagen will, welche Not er hat, selbst wenn er ungeschickte Worte wählt oder sich sogar im Ton vergreift.

Wir können handeln, wir können uns einsetzen für das Gute, selbst wenn es sinnlos scheint und wir das Gefühl haben, das bringt doch alles nichts. Aber wir haben das Gottvertrauen, dass Gott schon aus dem, was wir tun, etwas Gutes erwachsen lassen kann und wird – sei es für andere, sei es auch für uns selbst.

 

All diese Fähigkeiten schenkt uns der Geist, der uns erleuchtet und uns zu Kindern des Lichts und des Tages macht. Wenn wir diese Fähigkeiten versuchen, in unserem Leben zu gebrauchen, dann sind wir vorbereitet auf diesen Tag des Herrn, von dem Paulus spricht. Dann sind wir nämlich auch auf alles vorbereitet, was da so kommt im Laufe eines Lebens: Schicksalsschläge, Krankheiten, Einschränkungen durch eine Pandemie…

Diese Dinge treffen die Kinder des Lichts nicht weniger als andere, aber sie können damit besser umgehen. Denn sie stellen ihr Leben in den Horizont Gottes.

 

Leben als Kind des Lichtes bedeutet einfach, mein Leben in der Beziehung zu Gott zu führen und dadurch immer wieder Kraft, Nüchternheit und Wachsamkeit zu bekommen, um mit all dem klar zu kommen, was da täglich auf uns einstürmt oder womit wir uns auseinandersetzen müssen.

 

Christen leben länger, sagen Ärzte. Sie haben zwar die gleichen Krankheiten wie andere, sie haben auch dieselben Probleme wie andere, aber irgendwie können sie besser damit umgehen. Erleuchtet zu sein, hilft zum Leben. Am Tag sieht man besser als bei Nacht und Licht hilft uns, klar zu sehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

 

Deshalb soll keine Zeit uns schrecken können – auch nicht die Zeit, die von einem Virus und den Maßnahmen gegen seine Verbreitung bestimmt ist. Denn wir bleiben Kinder des Lichts und des Tages.

 

Amen.