Über Gott reden

Predigt zu Römer 11,33-36 von Prädikantin Anita Kämmer-Frey

Liebe Gemeinde!

Wo ist der Horizont und:

Wer ist Gott, an den wir glauben?

Und was haben diese beiden Fragen miteinander zu tun?

Zum Thema Horizont kann man alles Mögliche sagen, aber genau festlegen kann man ihn nicht. Er bleibt immer eine Frage des Betrachters. Der Horizont ist die Linie wo sich Himmel und Erde berühren - vom Standpunkt des Betrachters aus.

Mit einem Geodreieck, dem Durchmesser der Erde und dem Satz des Pythagoras ist das schnell ausgerechnet. Wenn ich nun z.B am Strand stehe und schaue übers Meer, so ist der Horizont ganze 5 km weit weg, so nah wie sonst nirgends!

Steige ich auf eine Klippe, können es schon mehr als 10 km weit sein, auf einem hohen Aussichtsturm über 30 und in den Bergen geht es schon in den 100er Bereich. Denn die Entfernung des Horizontes ist, wie gesagt, eine Frage des Standpunktes. Betreten, ertasten, oder auf einen Ort festlegen lässt sich der Horizont nicht.

Wenn ich nun in ein Boot steige und versuche ihn zu erreichen, verschiebt er sich. Er lässt sich nicht fassen. Ja, selbst das, was ich  sehe, ist unterschiedlich, mal eine messerscharfe Linie, mal verschwimmen Himmel und Erde miteinander. Und so ist es etwas ungemein faszinierendes, zum Horizont zu sehen und sich seine Gedanken zu machen.

Zum Thema Gott, können wir ähnliches sagen. Wie nah oder fern er zu sein scheint, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Mal habe ich ein klares Bild vor meinem inneren Auge, mal ist es verschwommen. Und genauso wenig, wie ich den Horizont erreichen kann, wird es mir gelingen, Gott zu ergründen.

Gott übersteigt sozusagen den Horizont unseres Denkens.

Wie und wer er ist, können wir am ehesten aus dem ableiten, was Jesus über ihn gesagt hat, sofern dieser, von denen, die alles überliefert haben, richtig verstanden worden ist.

Der Rest bleibt ein Geheimnis und das ist auch ganz gut so. Denn ein Bild sollen wir uns nicht machen von Gott. Für jeden ist er die Summe des Gehörten, Erlebten und Erfühlten. Dessen, was der Geist in uns bewirkt und unser Glaube. Und niemand wird mir je sagen können ‚du irrst dich, Gott ist anders!’

Also ist es wohl so wie mit dem Horizont: wer Gott für mich ist, entscheidet mein Standpunkt in dieser Welt.

Wer Gott für Paulus war, hören wir in seinem Brief an die Römer im 11. Kapitel.

Ich lese die Verse 33-36

lesen

Diese Worte schreibt Paulus in seinem letzten Brief. Viele Erfahrungen mit Gott gehen diesen Worten voraus: Wie er zunächst als römischer Soldat Saulus die Christen verfolgt, wie er dann Gottes Stimme hört und zu Boden fällt. Wie sein Leben nach dieser Begegnung eine entscheidende Wende nimmt und er sich sogar einen neuen Namen zulegt.

Viele Jahre ist er unterwegs, im gesamten Mittelmeerraum. Er redet mit unzähligen Menschen über Gott, darunter viele Gelehrte. Er erlebt Anfeindungen, Streit, Gefängnis.

Wenn einer mir Gott erklären könnte, dann doch wohl Paulus.

Wer oder was Gott ist, das sagt er aber nicht. Er erzählt nur vom Handeln Gottes, von seiner Liebe und Größe.

Wer also versucht, sich ein Bild von Gott zu machen, ihn in Worte zu fassen, dem geht es wie dem, der in ein Boot steigt, um den Horizont zu erreichen. Wenn wir meinen, Gott festlegen zu können, sind wir unendlich weit von ihm entfernt.

Und umso mehr Antworten der Mensch meint sich geben zu können, sich auf einen Podest, eine Klippe oder einen Turm erhebt, desto weiter entfernt ist er von Gott.

Wie also können wir von Gott reden, wenn wir nicht wissen wer er ist? Wie können wir ihm nahe kommen? Wie kann man erklären, dass Gott unerklärbar ist.

Denn trotz allem wäre es die undenkbarste Konsequenz, nicht von Ihm zu reden!

Auch wenn die Worte eines anderen sich nicht ohne Weiteres übernehmen lassen, so tragen sie doch dazu bei, dass ich mir meine Gedanken über Ihn mache. Wenn mir einer vom Berggipfel herunter erzählt wie sein Horizont aussieht, so kann ich versuchen es anzunehmen, auch wenn mir der Horizont von meiner kleinen Klippe herab ganz anders erscheint.

Wo der Horizont ist, hängt also ganz davon ab, wo wir stehen. So ist es auch mit Gott. Meine Erfahrung mit Gott ist zunächst einfach nur meine.

Sie ist abhängig von meinem Standpunkt, von meinem Blick auf die Welt, von meinem Erlebten und meinen Gefühlen.

Wer gerade glücklich ist, hat andere Fragen, als einer, der trauert, wer in schwierige Umstände hineingeboren wird, hat andere als der, dem scheinbar alles geschenkt wurde.

Doch selbst gleiche Erfahrungen können bei verschiedenen  Menschen Unterschiedliches bewirken. Lassen Freude und Glück den einen dankbar sein und demütig, so können sie dem anderen selbstverständlich erscheinen und Oberflächlichkeit und Übermut bewirken.

Lässt Leid den einen zweifeln und mutlos werden, lässt sie den anderen sich auf Gottes Stärke und Kraft besinnen und darauf  bauen.

Hinzu kommen Erfahrungen und Erlebnisse, die andere mit Gott gemacht haben, Menschen die ich kenne oder berühmte Menschen der Geschichte, seien es Martin Luther, Hildegard von Bingen, Dietrich Bonhoeffer u.v.m., deren Worte über das Leben und über Gott, Spuren in uns hinterlassen können.  Genauso ist es mit den Worten der Bibel. Auch hier lässt sich nie und nimmer nur eine Aussage herausnehmen und dann weiß ich, wer und wie Gott ist. Aber wenn ich das Gesamte betrachte, was verschiedene Menschen über Jahrtausende mit Ihm erlebt haben, kann ich sein Wesen ein Stück weit erahnen.

All diese Worte und Gedanken fangen an in mir zu wirken, wenn ich sie mit meinen eigenen Erfahrungen verbinde. Dann erscheint mir Gott als einer, auf den ich mich immer verlassen kann, der mich immer liebt und mir immer verzeiht, aber den ich nie ganz verstehen werde.

Heute feiern wir Trinitatis, das Fest der Trinität, der Dreieinigkeit Gottes. Vater, Sohn und Hl. Geist, das wären drei und doch ist Gott einer

Während wir die mathematische Formel am  Anfang der Predigt noch ganz gut lösen konnten, so bleibt diese Dreieinigkeit ein Geheimnis.

Ich sage bewusst ‚Geheimnis’ und nicht Rätsel! Denn ein Rätsel kann man lösen. Ein Geheimnis bleibt geheim, wenn es sich nicht von selbst offenbart.

Wie könnte man die Dreieinigkeit je ganz verstehen?!

Wenn mich meine nicht-christlichen Schüler manchmal deswegen löchern, ob wir denn nun drei Götter haben, dann mache ich manchmal den Versuch einer Antwort:

Gott ist einer, immer und überall und in allen Dingen. Und sein Geist, die Ruah, die im Hebräischen weiblich ist, schwebt schon am Anfang der Welt über den Wassern und wohnt in allen Menschen. Und auch der Teil dieses einen Gottes, der später in Jesus Christus Mensch wurde, war schon ganz am Anfang mit dabei und ist ein Teil des einen Gottes.

Wir sehen, so unmöglich es auch ist, Gott zu fassen, von ihm zu reden, so ist es dennoch notwendig! Nicht nur im Gottesdienst und von der Kanzel herab.

Fremde Worte über Gott können den Boden bereiten für eigene Gedanken, für eigene Erkenntnisse, für die eigene Sprachfähigkeit, gerade auch im täglichen Leben.

Gott will bei uns sein, in jedem Moment unseres Lebens, in Freude und in Leid. Jeder von uns kann dazu beitragen, dass auch andere Menschen die Erfahrung machen, im Erlebten  Gott zu erkennen, Glück als ein Geschenk zu sehen, Reichtum als Chance, nicht nur für sich selbst da zu sein, Trauer und Krankheit als Chance, anderen Menschen und Gott näher zu kommen und Stärkung zu erfahren.

So wichtig unser Standpunkt im Leben Gott gegenüber ist, so entscheidet dieser oft auch über unsere Beziehung zu anderen Menschen…..

Gerade in den letzten Wochen und Monaten wird es wieder ganz aktuell und wichtig unseren Standpunkt zu Gott zu überdenken, aber auch den Standpunkt unserer Mitmenschen im Blick zu haben, die gerade alles verloren haben, ihre Existenz, ihr Zuhause und oft auch Angehörige.

Auf Gottes Wort hören, an ihn denken, reden über Gott, das ist das eine, aber allem Hören und Reden müssen auch Taten folgen.

 

So schreibt Jakobus, der namentlich genannte Bruder Jesu  im 1. Kapitel seines Briefes an die frühe Christenheit:

Hört das Wort aber nicht nur an, sondern setzt es auch in die Tat um.

Denn wer das Wort hört, aber nicht danach handelt, betrügt sich selbst.

Schön, dass momentan so viele Menschen danach handeln und die entwurzelten Menschen der Ukraine willkommen heißen, hier in Reutti, in ganz Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas und der Welt. Aber auch die vielen anderen Krisengebiete der Welt dürfen wir nicht aus den Augen verlieren und den Schutz unserer Erde als Ganzes.

Das scheint momentan bei vielen der Fall zu sein.

Wem es nicht gegeben ist Hand anzulegen oder finanziell zu unterstützen, der kann doch eines tun, der kann beten! Und das ist überhaupt das Wichtigste. Das ist auch die Möglichkeit, wie ich näher zu Gott komme, wie ich ihn erreichen kann. Denn wenn ich bete, kommt Gott zu mir!

Beten tut Not. Aber wir werden einen langen Atem brauchen, wenn alles noch schwieriger wird durch Inflation und Rohstoffengpässe. 

Dann heißt es, einen festen Standpunkt zu behalten, Gott und den Mitmenschen gegenüber, sich nicht beirren zu lassen, von irgendwelchen Parolen die anderes fordern. Aber auch die Menschen im Blick zu haben, die in wirkliche Not geraten, durch das Absinken unseres Lebensstandards!

Dann heißt es zuhören, niemals aufhören zu beten und zu handeln, den Gott der Liebe und Treue nie aus dem Blick zu verlieren und auch nicht die Menschen, bis auch diese Krise, wie viele andere große Schreckenszeiten der Weltgeschichte, vorübergeht.

Dann heißt es, den Horizont nicht aus den Augen zu verlieren, denn hinterm Horizont geht’s weiter…..

Amen