Vatertag, Homeoffice und die Kunst, überall gleichzeitig zu sein

Predigt zu Christi Himmelfahrt von Pfarrer Stefan Reichenbacher

 

Liebe Gemeinde!

I. Wenn Sie heute irgendwelche Leute auf der Straße oder beim Spaziergehen im Wald ansprechen und fragen würden: "Welcher Feiertag ist denn heute?", würden die meisten wahrscheinlich „Vatertag“ antworten. Außer sie treffen auf ein Schulkind der Reuttier Grundschule oder ein aktives Gemeindeglied wie Sie, dann hieße die Antwort wahrscheinlich eher "Christi Himmelfahrt"!
Als Pfarrer begegne ich diesem Dilemma in der Regel damit, dass ich sage: Vatertag, hmm, naja, Vatertag Gottes vielleicht  - der Sohn kehrt zurück zum Vater und Gott freut sich drüber.

Dieses Jahr hab ich mir nun die Mühe gemacht, nachzuforschen, woher das überhaupt kommt, dass in Deutschland dieser christliche Feiertag zum „Vatertag“ mutiert ist.
Mit Mutationen haben wir ja zurzeit viel zu tun… Aktuell wird eine Mutation meist nach dem Land benannt, in dem sie zuerst aufgetaucht ist. Bei der Vatertagsmutation handelt es sich um eine sächsisch-brandenburgische Variante! Dort wurde der Tag früher auch als „Herrentag“ oder „Männertag“ bezeichnet, bei dem vor allem die „Herrentagspartie“ im Vordergrund stand…

Die heutige Form des „Vatertagfeierns“ kam laut Wikipedia Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin und Umgebung auf, vermutlich ins Leben gerufen von Brauereiunternehmen aus wirtschaftlichen Interessen und erfreut sich seither bei Männern großer Beliebtheit.

Bläser: Ein Prosit

Im Kindergarten diskutieren wir immer mal wieder, ob wir wie zum Muttertag auch zum Vatertag Geschenke der Kinder vorbereiten sollen oder nicht. Grundsätzlich lieben die Kinder ja beide Elternteile und möchten auf diese Weise ihren Dank und ihre Liebe zeigen. So weit so gut – und das ist natürlich auch zu unterstützen!
Dennoch steht der Vatertag im Bewusstsein der Allgemeinheit lange nicht so unumstritten da wie der Muttertag – auch wenn der Muttertag manchmal wegen seiner Vereinnahmung durch die Nazis kritisiert wurde.

Der Unterschied zwischen Muttertag und Vatertag ist offensichtlich: Beim Muttertag steht der Dank der Kinder für eine besondere Lebensleistung der Mutter im Vordergrund.
Beim Vatertag feiern sich die Väter eher selbst und gönnen sich eine Auszeit der besonderen Art. Interessanterweise feiern besonders jüngere Männer, die noch gar keine Väter sind, diesen Tag mit Bollerwagen im Grünen besonders intensiv. Sobald die Männer dann tatsächlich Väter werden, sorgt dann die Ehefrau oder Lebenspartnerin dafür, dass der Vatertag auch tatsächlich familiär gefeiert wird.

In anderen europäischen Ländern wird übrigens ein echter Vatertag oder Männertag gefeiert, z.B. in der Schweiz: Da geht es seit einigen Jahren darum, immer am ersten Sonntag im Juni einen Väter-Kinder-Aktionstag durchzuführen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch politisch und gesellschaftlich in den Blick zu nehmen.

 

II. Doch zurück unserem eigentlichen Feiertag Christi Himmelfahrt:
Unter Pfarrern und Pfarrerinnen kursiert seit einigen Tagen eine Karikatur: Jesus wird auf einer Wolke dargestellt – die gängige Darstellung von seiner Himmelfahrt – und darunter steht: "Himmelfahrt – Jesus geht ins Homeoffice!"
Was im ersten Moment ziemlich flapsig erscheint, ist gar nicht so von der Hand zu weisen. Man könnte tatsächlich sagen: Jesus wechselt von seinem präsentischen Dasein ins unsichtbare Dasein, bleibt aber verbunden mit allen, denen er seinen Geist schenkt und die an ihn glauben.

Das Internet macht´s möglich, dass unzählige Menschen sich digital treffen können, obwohl sie präsentisch nicht mehr zusammenkommen dürfen. Dennoch sind sie mit ihrem Gesicht und ihrer Stimme an unzähligen Orten weltweit gleichzeitig zu sehen und zu hören, zumindest wenn alle Beteiligten einen Internetanschluss haben.

Im Ulmer Winkel werden wir ab September in Burlafingen einen neuen Kollegen begrüßen, der eigentlich Pfarrer der evangelischen Kirche in Brasilien ist. Für fünf Jahre darf er als Gastpfarrer bei uns leben und wirken. Es war ein tolles Erlebnis, dass wir ihn kürzlich bei unserer Regionalkonferenz, die sowieso digital stattfand, am Bildschirm begrüßen konnten – direkt zugeschaltet aus Brasilien!
In der global agierenden Wirtschaft sind solche Erlebnisse normal, in der global agierenden Kirche sind sie noch etwas Neues.

 

III. Vielleicht hilft uns diese Vorstellung von Videokonferenzen und Homeoffice sogar, uns das Unvorstellbare der Ubiquität Jesu vorzustellen. Ein theologisches Fremd­wort, das ich besonders liebe, weil es so schön klingt: Ubiquität!
Ubique heißt im Lateinischen „überall“ und die Ubiquität drückt aus, dass Jesus durch seinen Geist überall gleichzeitig sein kann. Die Ubiquität Jesu ist die Voraussetzung, dass wir heute unsere Altarkerzen von der Osterkerze aus entzündet haben und mit Fug und Recht behaupten können, dass Jesus zwar unsichtbar, aber durch seinen Geist mitten unter uns ist, wenn wir im Namen des dreieinigen Gottes hier seine Himmelfahrt feiern.

Eigentlich kann man sich als Mensch die Ubiquität Jesu ja nicht vorstellen. Aber zumindest können wir uns vorstellen, wie das mit dem Internet und den Videokonferenzen funktioniert. Jesus kann das mit seinem Geist – und natürlich ohne die Verbindungsschwierigkeiten, die uns das Internet manchmal beschert, wenn grad mal wieder nichts geht.
Die Himmelfahrt nun ist die Voraussetzung für die Ubiquität Jesu. Solange er im Judäa seiner Zeit als Mensch unterwegs war, konnten ihn nur bestimmte Menschen erleben. Doch seit der Himmelfahrt ist er allen Menschen gleich nah. Durch seinen Geist kann Jesus den Glauben schenken, den wir brauchen, um ihn selbst zu erleben und seine Kraft zu spüren – aber das gilt eben für uns genauso wie für den Neuseeländer oder die Brasilianerin.

 

IV. Allerdings: Fürs Internet braucht man ein Kabel oder eine Funkverbindung. Und wir können selbst bestimmen, ob wir ins Internet gehen oder nicht.
Das ist beim Glauben etwas anders. Wir können zwar eine gewisse Voraussetzung schaffen für den Geist Jesu, indem wir offen sind für religiöse Dinge, ein offenes Herz haben für Gott, für Kirche, in den Gottesdienst gehen usw. Aber dass dann wirklich auch der Glaube kommt, bleibt Geschenk!

Den Glauben können wir nicht selbst machen, uns nicht kaufen, uns nicht verdienen, uns nicht dazu einloggen... Es bleibt eine dunkle Seite Gottes, warum er das so eingerichtet hat, warum nicht alle Menschen an ihn und seinen Sohn glauben können. Der Glaube bleibt Geschenk, bleibt unverfügbar.

 

V. Und damit sind wir wieder bei unserem Feiertag:
Durch seine Himmelfahrt macht Jesus sich unverfügbar – so wie der Glaube an ihn unverfügbar ist.

Maria Magdalena will ihn am Ostermorgen umarmen und festhalten, als sie Jesus im vermeintlichen Gärtner vor dem leeren Grab erkennt. Doch Jesus sagt zu ihr: „Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater!“
Maria möchte Jesus sozusagen in der Präsenz festhalten und ihn damit auch für sich persönlich behalten. Doch dann wäre er nur ihr persönlicher Rabbi und der der anderen Jünger und Jüngerinnen geblieben.
Sie muss ihn loslassen, um ihm die Ubiquität zu ermöglichen. Jesus muss „unverfügbar“ für die Seinen werden, um genau dadurch allen Menschen die Chance zu geben, zu den Seinen zu werden.

Oder aktuell ausgedrückt: In der irdischen Präsenzveranstaltung konnte Jesus nur bestimmten Menschen seiner Zeit in Judäa und Galiläa nahe sein – im Homeoffice dagegen allen Menschen durch seinen Geist.

 

V. Was machen wir nun aber mit dem Vatertag?
Auf jeden Fall sollten wir keine Spielverderber sein. Wenn Vatertagsfeste wieder möglich sind, dann freue ich mich – es ist ja nun schon das zweite Jahr, indem sie nicht erlaubt sind.

Aber wenn es so schwer ist, den Gedanken an Christi Himmelfahrt in der Öffentlichkeit wach zu halten, dann könnten wir uns doch mal von den Schweizern anregen lassen:
Männer müssen – genau wie die Frauen - in gewisser Weise so etwas wie Ubiquität leisten. Sie müssen gleichzeitig viele Rollenerwartungen erfüllen: Sie sollen in der Familie als Vater präsent sein, sie sollen aber auch im Beruf ihren Mann stehen, sich im Idealfall irgendwo ehrenamtlich einbringen, ein verlässlicher Freund sein und last not least in ihrer Beziehung auch ein guter Liebhaber!
Wenn es gelänge, am Vatertag solche Gedanken zu etablieren, dann wären wir auf jeden Fall deutlich näher am ursprünglichen Gedenken von Christi Himmelfahrt und seiner Bedeutung für uns als wenn es da nur ums Bierfässchen auf dem Bollerwagen in feuchtfröhlicher Männerrunde geht.

Allerdings, ich muss zugeben - auch wenn das nun etwas "kontraproduktiv" ist: Wein hat Jesus gerne getrunken und gutes Essen hat er auch nicht verachtet. Feste gefeiert hat er auch wohl auch gerne. Seine Gegner beschimpften ihn als Fresser und Weinsäufer. Von daher vermute ich, dass der präsentische Jesus seinerzeit auch bei Vatertagsfesten gerne mit anwesend gewesen wäre und einer Halben Bier wahrscheinlich nicht abgeneigt gewesen wäre.

Der Friede Gottes…