Vom dreieinigen Gott, dem Wind und der Freiheit

 

 

Predigt zu Johannes 3,1-8 zu Trinitatis 2021 von Lektor Paul Meisel

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden.
Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“
Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Nikodemus spricht zu ihm: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“
Jesus antwortet: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
Wer aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.
Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden.
Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.“

 

Liebe Brüder und Schwestern,
die wenigsten von uns werden sich an ihre Taufe erinnern können.
Ich war damals auf den Tag genau zwei Monate alt.
Immerhin ein paar Fotos gibt es, die mich daran erinnern.
Diese dreimalige Taufwasserspendung.
Einmal im Namen Gottes des Vaters.
Einmal im Namen Gottes des Sohnes.
Einmal im Namen Gottes des Heiligen Geistes.
Damals war es wohl, als ich aus Wasser und Geist neu geboren wurde, wie es Jesus gegenüber Nikodemus formuliert.

 

Was für ein geheimnisvolles Gerede.
Überhaupt diese ganze Szenerie.
Mitten in der Nacht ist es, als Nikodemus Jesus aufsucht.
Nachts, wenn alle Katzen grau sind, wagt Nikodemus sich aus dem Haus.
Er, der Angehörige der jüdischen Oberschicht.

Er geht zu Jesus.
Dem jungen Wanderprediger, der in den letzten Tagen mächtig auf sich aufmerksam gemacht hat.
Mit dem Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana.
Mit der Vertreibung der Händler aus dem Tempel.

Mit dem will man nicht gesehen werden.
Aber irgendwas treibt ihn um.

Nikodemus lässt keine Ruhe, was er da gesehen hat.
Die ganze Stadt wird davon gesprochen haben.

Aber die Nacht ist beim Evangelisten Johannes nie nur reine Zeitbeschreibung.
Nacht ist für ihn immer auch Symbol von Unverständigkeit.
Nikodemus will die Zeichen Jesu verstehen – aber er versteht nicht.
„Wie soll das gehen?“, fragt er, nachdem Jesus vom neu geboren werden spricht.
Nikodemus fragt nach und bekommt Antwort – aber er versteht nicht.
Mit seinem allzu menschlichen Nachdenken über das neu geboren werden - man könnte aus dem Griechischen auch „von oben“ geboren werden übersetzen.
Es ist, als wollte Jesus uns sagen: mit diesem Denken kommt ihr hier nicht weiter.

Wir feiern Trinitatis.
An diesem Sonntag begehen wir festlich eins der größten Geheimnisse unseres Glaubens.
Ein Gott in drei Erscheinungsweisen.
Ein Gott, der sich als Vater zeigt.
Ein Gott, der sich als Sohn zeigt.
Ein Gott, der sich als Heiliger Geist zeigt.
Und wann immer wir uns diesem Geheimnis der drei Erscheinungsweisen des einen Gottes mit menschlichem Verstand nähern wollen, weht es uns davon – wie der Wind.

Jesus hat uns gesagt, wie wir mit diesem Geheimnis umgehen können:
So unverfügbar und ungreifbar wie der Wind ist, so verhält es sich auch mit dem Geist Gottes, der in und an uns wirkt.
Der Wind bläst, wo er will und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. „So ist es bei jedem der aus dem Geist geboren ist.“

Liebe Brüder und Schwestern,
von oben neu geboren aus Wasser und Geist.
Uns scheint es heute völlig klar, worum es Jesus geht.
Die Taufe ist quasi das Aufnahmeritual in die Gemeinschaft der christlichen Kirche.
Bei dieser Taufe bekommen wir – so sagt es uns Jesus im Evangelium – die Fähigkeit, das Reich Gottes zu sehen.

Für jemanden, der das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana gesehen hat, der aber eben nicht von oben neu geboren ist, für den ist es ein fauler Zauber.
Für jemanden, der Jesus im Tempel hat wüten sehen, der aber eben nicht von oben neu geboren ist, für den wütet ein armer Irrer.

Das ganze Wirken Jesu weist uns darauf hin, dass das Reich Gottes angebrochen ist.
Seine Wunder und Zeichen sind sichtbare Hinweise darauf.
Nikodemus hat sie gesehen.
Er hat Gott, den Sohn, erleben dürfen.

Aber was ist mit uns?
Das Wirken Jesu ist bald 2000 Jahre her.
Die Offenbarung Gottes vor dem Volk Israel beim Zug ins gelobte Land noch viel länger.
Wie gut, dass sich unser Gott in drei Erscheinungsweisen zeigt.

Liebe Brüder und Schwestern,
wir leben in der Zeit des Heiligen Geistes.

In ihm hat sich Gott am ersten Pfingstfest über seiner jungen Kirche ergossen – von oben neu geboren.
In ihm wirkt Gott bis heute.

Im Eingangslied haben wir gehört:
„Der Geist des Herrn durchweht die Welt
gewaltig und unbändig;
Wohin sein Feueratem fällt,
wird Gottes Reich lebendig.“

Ja, liebe Brüder und Schwestern, der Geist Gottes wirkt unter uns.
Durch die Taufe mit Wasser und Geist sind wir hineingerufen in die Gemeinschaft der Kirche.
Dieser Geist begleitet uns auf allen unseren Wegen und öffnet uns die Augen für Gottes Reich.

Mal verstehen wir schnell, wie gut es ist, dass Dinge anders kommen, als wir sie geplant haben.
Mal brauchen wir länger, um es zu verstehen.
Mal bleibt Gott uns auch ganz unverständlich.
Mal zeigt das Reich Gottes sich ganz deutlich und wir erkennen es sofort.
Mal zeigt es sich ganz zaghaft nur und wir übersehen es vielleicht auf den ersten Blick.

Aber es ist da.
Wie der Wind, von dem wir weder wissen, wo er herkommt, noch, wo er hingeht, ist Gottes Geist wirksam in dieser Welt.
Unverfügbar.
Unberechenbar.

Der Geist von Gott weht wie der Wind.
Ich sehe da aber nicht nur Wind, sondern sehe ein Zeichen des Wirkens des Geistes Gottes.

Endloser Sandstrand.
Strahlend blauer Himmel.
Große weiße Wolken.
Das Meer.
Ein Postkartenidyll – wie gemalt.
Wäre da nicht dieser Wind.
Dieser Wind, der wie von Geisterhand, die Wolken über den Himmel schiebt.
Dieser Wind, der mit großer Macht das Wasser zu Wellen auftürmt und sie an den Strand wirft.

Wir sehen ihn nicht, aber wir spüren ihn.
Spüren seine angenehme Frische.
Spüren seine unbändige Kraft.

Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.
Spürt diesen Geist.
Spürt diese Freiheit.

Amen.